13., 16. Nov. 1871 Zweiundzwanzigstes Kapitel 289
13. November. In einem Petersburger Bericht an den
Kaiser Wilhelm, vom 8. d. M. datiert und gestern „durch sichre
Gelegenheit“ bei uns eingetroffen, heißt es: „Seine Majestät der
Kaiser hatte die Gnade, mir das allerhöchste Handschreiben mitzu—
teilen, das Eure Kaiserliche Majestät dem Prinzen Friedrich Karl
mitgegeben hat. Der Passus über die Salzburger Zusammenkunft
wurde vom Kaiser besonders hervorgehoben mit der Bemerkung,
daß es leider nur zu wahr sei, was Eure Majestät über die Be—
mühungen der Presse sagten, das gute Einvernehmen beider Mächte
als ein gestörtes darzustellen, daß dies aber, wie ich wisse, keinen
Einfluß auf sein Gemüt ausüben könne. Ferner gab mir der Kaiser
das Memoire der Großfürstin Marie über ihre Unterhandlung mit
Graf Fleury zu lesen. Dieses Schriftstück, welches wahrscheinlich
aus der Feder des Herrn Duvernois geflossen und der Frau Groß-
fürstin von Fleury zur Verwertung übergeben worden ist, findet
der Kaiser geschickt abgefaßt. Der Advokat des entthronten Kaisers
plädiert sehr gewandt, indem er dem Deutschen Reiche klar zu machen
sucht, daß die Geldfrage in Gefahr schwebe, wenn das jetzige
System in Frankreich fortdauere, und daß deshalb Deutschland auf
das alleinseligmachende Plebiszit dringen müsse. Fleury, so fuhr
er fort, spricht stets von einer kräftigen Regierung, die nur im
Empire zu finden sei! Wer aber bürgt dafür, daß sich mit der
Wiederkehr dieses Empire auch wirklich die kräftige Hand wieder-
finden würde, welcher Europa allerdings anfangs der fünfziger
Jahre Dank schuldig gewesen ist? Wollen die Franzosen wieder
zur allgemeinen Abstimmung greifen, um ihre definitive Regierungs-
form zu bestimmen, so sollen sie dies thun, das ist ihre Sache
und nicht die der auswärtigen Mächte, die mit dieser Frage nichts
zu schaffen haben."“
„In dieser Weise sprach sich der Kaiser ungefähr über die
Fleuryschen Propositionen aus. Meiner Ansicht nach wird ein
jeder Vorschlag, der die Restauration der Bonaparten betrifft, in
Seiner Majestät dem Kaiser immer nur einen sehr zerstreuten Zu-
hörer finden. Die Mühe, die sich seine erlauchte Schwester giebt,
um ihn für diesen ihren Lieblingsplan zu interessieren, dürfte ver-
schwendet sein."
16. November. Aus Lemberg wird uns von einem Wohl-
Busch, Tagebuchblätter II 19