Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

292 Zweiundzwanzigstes Kapitel 9. Dezember 1871 
die polnischen Gedanken, die Graf Andrassy aussprach, nämlich 
Trennung von Frankreich und Aufgeben der Agitation gegen Ruß— 
land, um der Exstirpation Einhalt zu thun, kurz, Konservierung 
des Polentums als Gegengewicht gegen zukünftige panslawistische 
Tendenzen, mir berechtigt erschienen; ich drückte aber auch aufs 
neue meine Zweifel aus, daß die Polen so einsichtig seien, und 
fragte, ob denn jene Gedanken nicht bloß von einigen Mitgliedern der 
Emigration gehegt würden. Der Graf bejahte dies und erzählte 
mir, daß Fürst S. Czartoryski sich zwar mit einer Prinzessin aus dem 
Hause Orleans (der sechsundzwanzigjährigen Tochter des Herzogs 
von Nemours) verlobt habe, daß ihm aber gleichzeitig mit dieser 
Nachricht die Versicherung zugekommen sei, daß die projektierte Ver- 
bindung an diesem System nichts ändern würde. Auf die Donau- 
länder übergehend, sagte mir der Minister, er habe aus Bukarest 
und von andern Orten glaubwürdige Meldungen erhalten, daß Cusa, 
Bratiano, Ghika und Cogolnitscheano zum Sturze des Fürsten 
Karl in Verbindung getreten seien, der prince ötranger aufgegeben 
und Cusa wieder eingesetzt werden solle, mit ihm der französische 
Einfluß. Die Eisenbahnangelegenheitt und der von uns provozierte 
Druck von Konstantinopel erschwere die Stellung des Fürsten Karl, 
die er, Graf Andrassy, stützen wolle. Ich wiederholte, daß wir 
von Osterreich keinen Druck auf den Fürsten forderten, sondern nur 
eine Einwirkung auf Ministerium und Kammer.“ 
A. meldet dem Chef aus Paris unterm 7. Dezember über 
Beusts Besuch? und französische Revanchegedanken folgendes: „Graf 
Beust hat mich auf der Durchreise nach London besucht, nachdem 
er vorher Herrn Thiers gesprochen hatte. Sein Eindruck von 
der hiesigen Regierung war, daß sie auch in auswärtigen Fragen 
nicht so verständig sei, wie man glauben sollte. Ich machte dem 
Grafen kein Geheimnis aus meiner Ew. Durchlaucht ausgesprochnen 
Auffassung, daß der Präsident der Republik vor allen Dingen jede 
auswärtige Komplikation zu vermeiden wünsche. Graf Beust, mit 
dem Herr Thiers viel Konjekturalpolitik getrieben zu haben scheint, 
1 Der Vertrag mit Strousberg vom 3. Oktober 1868, dessen Bankerott 
dann große Schwierigkeiten brachte. 
2 Auf der Reise nach London, wo er österreichischer Botschafter geworden war.
	        
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