304 Zweiundzwanzigstes Kapitel 21. Januar 1872
Tuilerien vermutlich nicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht,
als man an eine Koalition der katholischen Mächte gegen das an
beiden Stellen gleich verhaßte Deutschland dachte. Es ist also kein
Zweifel, daß die Kaiserin, als sie mit Eifer zum Kriege trieb, mit
den römischen Ultramontanen Hand in Hand ging; sie setzte vielmehr
ihren Stolz darein, es war ihr Herzenssache. Häufig verfällt man
bei der Beurteilung und Berechnung politischer Situationen und
Vorgänge in den Fehler, zu vergessen, daß es in der Welt oft
nicht normal zugeht, und das, was die Normalität besonders häufig
unterbricht, ist der Einfluß der Weiber auf die Regierenden. Wo
aber die Weiber freie Hand in der Politik haben, da wird flugs
der Jesuitismus mit seinen Zwecken mächtig.“ 1
21. Januar. Werthern hat einen Immediatbericht an den
Kaiser abgesandt, der über folgendes klagt: W. hat dem König
Ludwig die Kette zum Schwarzen Adlerorden überreichen sollen.
Er hat deshalb, da der König am 15. aus Hohenschwangau zurück-
gekehrt, am 16. bei Hegnenberg um Vermittlung einer Audienz ge-
beten, ist von diesem aber an das königliche Kabinett gewiesen
worden. Er hat sich darauf sofort zu Eisenhart begeben, diesem
auseinandergesetzt, welchen Wert der Kaiser auf die Überreichung
gerade am 18. Januar, dem Tage der Erinnerung an zwei denk-
würdige Ereignisse in der Geschichte seines Hauses, lege, und sich
bis ein Uhr Übermittlung der Entscheidung des Königs erbeten.
Diese ist ihm aber bis drei Uhr nicht zugekommen. Er hat darauf
Eisenhart wieder aufgesucht und erfahren, daß dieser noch nicht in
der Lage gewesen sei, den König von dem Anliegen zu unterrichten.
Nun hat er seine Bitte „in dringlicher Weise“ erneuert und hervor-
gehoben, „wie wenig es den allerhöchsten Intentionen Seiner Kaiser-
lichen und Königlichen Majestät entsprechen würde, wenn der Tag
vorüberginge, ohne daß er Allerhöchst dero Auftrag erledigt hätte."
Hierauf hat der betrübte und geängstigte Mann endlich abends
acht Uhr einen Brief mit der Nachricht erhalten, daß der König
mit freudiger Überraschung von der Sache Kenntnis erhalten habe
und es sich zum Vergnügen gemacht haben würde, Brief und Kette
1 G. u. E. II, 168 f.