324 Zweiundzwanzigstes Kapitel 24. Febr. 1872
aus Brüssel unterm 22. d. M., daß der Graf Chambord anfänglich
nach Mecheln gewollt, der Erzbischof aber wegen der öffentlichen
Meinung, die religiöse Dinge wittere, davon abgeraten habe. Der
Prätendent ist daher im Hotel St. Antoine zu Antwerpen geblieben,
wo der König ihn durch seinen Hofmarschall hat begrüßen lassen.
Er will dem König nächstens in Brüssel einen Besuch abstatten
wie voriges Jahr. Großes Zuströmen von Legitimisten, doch bleiben
sie nicht lange, Chambord hält sich von der Offentlichkeit durchaus
fern und geht nur aus, um die Messe zu hören. Der Précurseur,
das gelesenste Blatt in Antwerpen, hat ihn am 19. mit einem
Leitartikel empfangen, der sehr wenig Sympathien für ihn verraten
hat. Es giebt, so hat das Journal sich ungefähr geäußert, nichts
Schlimmeres als die eifrigen Monarchisten. Sie sind Revolutionäre,
die ihrem Lande weder Ruhe noch Rast lassen, wenn es sich darum
handelt, ihren persönlichen Ehrgeiz zu befriedigen. Die Wieder-
aufrichtung der alten Monarchie in Frankreich ist die Rückkehr zu
der alten Politik. Sie muß in ihren Kreis Belgien, Spanien und
Süditalien ziehen, ihnen das katholische Joch wieder auflegen, die
latinische Uberlieferung wieder aufnehmen und zu gleicher Zeit dem
Nationaldünkel schmeicheln und die Wiedereroberung von Elsaß-
Lothringen auf ihr Programm setzen. Es folgt dann ein Lob auf
Deutschland, das als „der rechte Arm des europäischen Liberalismus“
bezeichnet wird. — Eine Obsthändlerin in Versailles hat einen Brief
an die Kaiserin Augusta gerichtet, worin sie behauptete, die Mar-
quise della Torre (s. II, S. 118) habe während der Anwesenheit der
Preußen in jener Stadt wiederholt Früchte bei ihr entnommen, die
für den Kronprinzen — pour le Prince Fritz — bestimmt ge-
wesen, aber nicht bezahlt worden seien; die Kaiserin möge sie nun
für den Sohn bezahlen. Die beigelegte Rechnung beträgt fünfund-
siebzig Franken. Vermutlich sind die Früchte dem Koburger zu-
geschickt worden, aber Wollmann will wissen, daß auch Bohlen
davon bekommen habe; es wären die schönen Birnen und Trauben
gewesen, die wir ein= oder zweimal als Dessert auf dem Tische
gehabt hätten.
Wie Bucher erfahren haben will, bestünde (wohl nicht beim
Chef) die Absicht, Abeken „mit andern verdienten Staatsmännern
wie Roon und Moltke“ ins Herrenhaus zu versetzen; es solle eine