Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

330 Zweiundzwanzigstes Kapitel 5. März 1872 
zu begleiten, oder die Prinzessin sei dazu nicht wohl genug, und 
alsdann müsse er bei ihr bleiben, da Eheleute sich nicht trennten.“ 
Abends zeigte mir Bucher als eine Probe des wunderlichen 
und eifersüchtigen Ehrgeizes unfrer Herren Geheimräte ein Entrefilet 
des Braßschen Blattes: worin es hieß: „An dem vorgestrigen Diner 
des Fürst-Reichskanzlers haben außer den vorgestern genannten 
Herren auch der Wirkliche Geheime Legationsrat Dr. Abeken und der 
Wirkliche Geheime Legationsrat Graf von Hatzfeldt teilgenommen.“ — 
Der Ton liegt auf dem „Auch,“ bemerkte Bucher erklärend. „Keudell 
hatte nämlich, um sich zu heben, der Kreuzzeitung, der er häufig 
solche hochwichtige Mitteilungen zukommen läßt, einen Bericht ge- 
schickt, wonach er allein neben den Botschaftern bei dem Essen 
gewesen zu sein schien. Das wurmte die beiden andern Gäste aus 
unserm Personal, und so antworteten sie jetzt bei Braß: Nein, 
Herr Kollega, wir hatten die Ehre ebenfalls!“ 
5. März. Bucher bringt mir folgende Direktive zu einer Kor- 
respondenz vom Chef herunter, die in ein süddeutsches Blatt oder 
in die Kölnische Zeitung kommen soll. „Anzuknüpfen an die Debatten 
über den Etat des Ministeriums des Auswärtigen, die in der Stutt- 
garter Kammer stattgefunden haben. Württemberg hat nach der 
Reichsverfassung das Gesandtschaftsrecht. Fraglich aber ist, ob es 
im Interesse des Reichs und nützlich für Württemberg ist, dieses 
Recht im Auslande auszuüben. Die Anwesenheit mehrerer deutschen 
Gesandten in Paris z. B. würde die französische Regierung immer 
zu Experimenten verlocken, Zwietracht zu säen. Dabei ist auf die 
Unwissenheit der Franzosen in betreff des Auslandes und ihre alte 
Vorstellung hinzuweisen, daß die deutschen Staaten entgegengesetzte 
Interessen haben. Weit schlimmer noch sei die Anwesenheit eines 
französischen Gesandten in Stuttgart oder, abgesehen von Berlin, 
überhaupt in Deutschland; denn dieselbe könnte infolge von Partei- 
äußerungen leicht zu dem Versuche führen, Konspirationen mit ein- 
zelnen Regierungen anzuspinnen. Wenn die französischen Gesandten 
nicht ihre Regierung durch unrichtige Berichte zu der Hoffnung auf 
Zwistigkeiten in Deutschland verleitet hätten, wäre uns vielleicht ein 
großer Krieg erspart worden. Gesandte, die nicht viel zu thun 
haben, machen sich gern Geschäfte, um nicht überflüssig zu erscheinen. 
Parallele mit Polizeiagenten, die es ebenso treiben. Das ist
	        
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