Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

344 Zweiundzwanzigstes Kapitel 6. April 1872 
Föderalisten verbunden. Wie ihre Väter von Wien aus gegen 
Prag, so arbeiten sie jetzt von Prag gegen die politische und reli— 
giöse Einwirkung in Wien. 
„Unsre ultramontanen Kirchenfürsten, die jetzt mit dem übrigen 
reaktionären Kreti und Plethi Sturm gegen die Verfassung laufen, 
waren früher keineswegs Föderalisten und Autonomisten. Dieselben 
Bischöfe, die heute fanatisch Arm in Arm mit den Tschechen gehen, 
erklärten in den Tagen, wo über den Abschluß des Konkordats 
verhandelt wurde, die Sprachendifferenz für eine aufzuhebende Folge 
des babylonischen Turmbaues und betonten die Notwendigkeit des 
Einheitsstaates. Sie sind auch jetzt keine unversöhnlichen Wider— 
sacher des Zentralismus, nur soll das Zentrum desselben für die 
wichtigsten Angelegenheiten in Rom sein. Ein österreichischer Ein- 
heitsstaat unter der jetzigen Verfassung ist ihnen ein Greuel. Ein 
solcher aber, der durch den Ultramontanismus zusammengehalten, 
von ihm in allen seinen Bestandteilen durchdrungen wäre, und in 
dem eine Wiener Kabinettspolitik wie die Metternichsche im Ein- 
vernehmen mit Rom und dem alten Adel die widerstrebenden 
Nationalitäten niederhielte und für ihre und des Papstes Zwecke 
benutzte, wäre ihnen nicht nur nicht zuwider, sondern die Verwirk- 
lichung ihres Ideals. Ganz ebenso aber wie diese geistlichen Ver- 
bündeten der Tschechen denken auch diejenigen, die ihnen aus den 
Reihen unfrer Großgrundbesitzer an die Seite getreten sind. 
„Noch einmal: Das Tschechentum dieser Magnaten ist bloße 
Maske. Es ist ebenso unecht wie ihr Eifer für die Autonomie 
Böhmens. Als Diener der kirchlich -politischen Reaktion, als 
Werkzeug der Jesuiten haben ihre Vorfahren vor dritthalb Jahr- 
hunderten mit aller Macht die böhmische Autonomie bekämpst und 
den Besitz des böhmischen Adels dafür eingestrichen. [Die Schwarzen= 
berg wissen davon zu erzählen. Mit den Gütern der Ahnen ist 
auch deren Gesinnung auf sie übergegangen. Die slawischen Bestre- 
bungen werden von ihnen nur bis auf weiteres unterstützt und mit 
dem Hintergedanken, sich zu passender Zeit von ihnen loszusagen. 
Der tschechische Bauer ist in ihren Händen nur das Werkzeug seiner 
eignen Knechtung. Wenn man ihn dazu wählte, so geschah es 
lediglich, weil die Deutschen nicht einfältig genug und geistig zu 
unabhängig sind, um das Ideal dieser Herren wieder in die Welt
	        
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