14. April 1872 Zweiundzwanzigstes Kapitel 347
Ich füge hier gleich hinzu, daß der Kanzler darauf unterm
27. April durch Bucher an Itzenplitz schreiben ließ, er möge das
im November v. J. gesammelte Material zu einer Denkschrift zu—
sammenstellen lassen und einen Fachmann für sein Ministerium er—
nennen. Die Minister des Innern und der Justiz seien gleichfalls
darum ersucht worden.
Abends. Bucher bringt mir einen Aufsatz des Pester Lloyd
vom 11. d. M. mit der Bemerkung: „Die blauen Striche und die
Anfrage: »Doch wohl vorzulegen« sind von Aegidi. Der denkt, es ist
ihm (dem Chef) das was Neues. Ich glaube aber bestimmt, daß er auf
seine (des Chefs) Veranlassung geschrieben ist. Ich habe in seinem
Auftrag auch schon einmal so was gegen Augusta lanciert. Sehen
Sie doch zu, daß Sie den Artikel oder die besten Stellen daraus
in irgend ein entferntes Blatt bringen. Ich wollte übrigens dem
Schwarzen meine Ansicht über den Ursprung des Artikels nicht
sagen, weil ich ihm, wie Sie wissen, nicht traue. Keudell hat seine
Verbindungen auch in den Kreisen Augustas.“ „Die besten Stellen“
des Aufsatzes lauteten, nachdem zuerst die letzte Thronrede des
Kaisers! als trocken und nüchtern, aber als phrasenlos und typisch
für das realistische Wesen der preußischen Politik charakterisiert
worden war:
„Giebt uns indessen dasjenige, was in der Thronrede steht,
kaum zu besondern Bemerkungen Anlaß, so legt uns doch das, was
nicht darin enthalten ist, die Besprechung eines andern Gegen-
standes ziemlich nahe. Es macht sich nämlich seit mehreren Tagen
ein seltsames, eigentümliches Gerücht in den Blättern bemerkbar,
man fühle in Berlin den Arm, der sich so kräftig gegen die zelo-
tischen Umtriebe erheben zu wollen schien, bereits wieder erlahmen
und sei darauf bedacht, einen Waffenstillstand mit dieser Reaktion
einzugehn, die Fürst Bismarck eben noch als Todfeindin des
Deutschen Reiches gebrandmarkt. Die unerwartet plötzliche Ankunst
des Kanzlers aus Varzin in der Hauptstadt? wird in dem Sinne
gedeutet, daß wieder etwas in der Luft hänge, was seine Anwesen-
1 Am 8. April 1872 bei der Eröffnung des Reichstags durch Fürst Bis-
marck, Politische Reden V, 313 ff.
2 B. war am 12. März nach Friedrichsruh gereist und kehrte am 21. März
abends nach Berlin zurück. Bismarck-Regesten II, 41.