April—Mai 1872 Zweiundzwanzigstes Kapitel 357
seit längerer Zeit ungnädig bemerkt worden, daß die Resultate des
Büreaus zuweilen zu der infallibeln Lehre von der allein selig
machenden freien Konkurrenz nicht stimmen. Aber freilich verbreitet
sich in immer weitern Kreisen die Ansicht, daß die volkswirtschaft-
lichen Infallibilisten besser thäten, ihre Lehre, über die gerade jetzt
in Berlin manche Erfahrungen zu machen sind, an den Thatsachen
zu prüfen und zu berichtigen, als gleich ihren kirchlichen Kollegen,
den Jesuiten, die Ketzer aus der Welt zu schaffen."
22. April. Heute morgen sagte mir Aegidi, der Chef habe
den Wunsch geäußert, daß in der Presse folgendes besprochen
werde. Der Prinz Leopold von Bayern soll infolge seiner Ver-
lobung mit der österreichischen Prinzessin Gisela in das österreichische
Heer eintreten. Er habe sich in dem Kriege mit Frankreich aus-
gezeichnet durch Tapferkeit und sonstige Tüchtigkeit. Es wäre daher,
so sehr man in Deutschland mit Wohlgefallen von der Verlobung
gehört habe, zu beklagen, wenn er der deutschen und speziell der
bayrischen Armee entzogen würde, die bisher ohnehin nicht sehr in
persönlichem Zusammenhange mit der Dynastie gestanden habe, wie
andre Truppenteile, z. B. die preußischen und die sächsischen, und
man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben, daß sich das Gerücht nicht
bestätigen, oder daß der Entschluß sich noch rückgängig machen lassen
werde.
Aegidi fügte hinzu, daß er soeben eine Notiz dieses Inhalts
an Zabel (damals Chefredakteur der Nationalzeitung) geschickt, dieser
aber sich geweigert habe, sie aufzunehmen.
4. Mai. In einem Artikel der Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung, der von Aegidi verfaßt ist und nach dessen Versicherung
den Gedankengang des Fürsten an mehreren Stellen „fast ganz
genau wiedergiebt,“ heißt es in Anknüpfung an die Wahl Hohen-
lohes zum deutschen Botschafter bei der Kurie“ und an die irrigen
1 Am 25. April wies B. den Geschäftsträger zu Rom an, den Kardinal-
Staatssekretär Antonelli von der geplanten Ernennung des Kardinals Fürsten
Hohenlohe zum deutschen Botschafter beim hl. Stuhle vertraulich zu benachrichtigen,
am 1. Mai, amtlich anzufragen, ob der Kardinal genehm sei. Antonelli lehnte
die Ernennung durch Schreiben vom 2. Mai ab. Bismarck-Regesten II, 44 f.
B. sprach sich darüber am 14. März im Reichstage ausführlich aus, Politische
Reden V, 37.