360 Zweiundzwanzigstes Kapitel 10. Mai 1872
vom 2. d. M. enthaltnen, in allen Teilen willkürlich erfundnen Bericht
aus Belgrad vom 28. v. M. zu widersprechen. Der Bericht hält einer
Widerlegung der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung gegenüber an
der Behauptung fest, das Berliner Kabinett hege die Absicht, in
der Zwornikfrage zu Gunsten Serbiens zu intervenieren. Der Korre-
spondent bemerkt: „Aus einer Quelle, deren Lauterkeit nicht einen
Augenblick angezweifelt werden kann, ist mir bekannt, daß Fürst
Bismarck in der letzten an Herrn von Radowitz abgeschickten Note
ausdrücklich befahl, die serbische Forderung zu unterstützen.“ Diese
Mitteilung ist ihrem ganzen Inhalt nach erlogen. Es ist keine
Note, keine Weisung, keine Mitteilung dieser oder ähnlicher Art
ergangen. Als diese dreiste Erfindung zum erstenmale auf-
tauchte, hat die darüber angestellte amtliche Ermittlung auf eine
amtliche, außerdeutschen Kreisen nahestehende Quelle zurückgeführt,
die wir einstweilen nicht öffentlich bezeichnen wollen. Der Korre-
spondent kennt ohne Zweifel die Quelle und wird wissen, was er
von der Lauterkeit derselben zu halten hat.“
10. Mai. Aus einer Zuschrift an R. vom gestrigen Tage
notiert: „Wie mir Graf Andrassy sagt, hat Herr von Kallay (der
österreichisch-ungarische Agent bei der serbischen Regierung) aus Bel-
grad berichtet, die Regentschaft lasse durchblicken, daß der deutsche
Generalkonsul sich dahin ausspreche, Serbien werde Klein-Zwornik
schon bekommen, es solle nur jeden beunruhigenden Schritt ver-
meiden.“
Aus Paris liegen zwei Berichte, beide vom 6. d. M., vor.
Im ersten heißt es: „Meine schon anderweitig ausgesprochne Ansicht
ist, daß wir die von den Bonapartisten mit uns gesuchte Verbin-
dung nicht von der Hand weisen sollen. Um so weniger, als sie
einerseits durchaus keine Intriguen gegen die jetzige Regierung im
Sinne haben, andrerseits unter allen Parteien die einzigen sind,
die offen unfre Unterstützung nachsuchen und die Versöhnung mit
Deutschland in ihr Programm aufnehmen, während alle andern
Fraktionen und Schattierungen jeden Verkehr mit uns vermeiden
und den Rachekrieg auf ihre Fahne schreiben. Ich erkenne in der
Kandidatur des Duc d'Aumale eine ebenso große Gefahr wie in der-
jenigen Gambettas, und die sogenannte anständige Republik, die
durch Casimir-Perier oder Grevy repräsentiert werden würde, kann