Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

21. März 1873 Zweiundzwanzigstes Kapitel 397 
Die Antwort hierauf ließ fast drei Wochen auf sich warten. 
Endlich benachrichtigte mich am 20. März Aegidi, daß der Fürst 
ihn beauftragt habe, mir mitzuteilen, daß er mich zu sprechen 
wünsche, und daß er die zweite Nachmittagsstunde des 21. dazu 
bestimmt habe. Als ich infolge dessen (das Nachstehende ist un— 
mittelbar nach dieser Audienz aufgezeichnet und giebt die Außerungen 
des Reichskanzlers in allen Stücken wörtlich wieder) zur genannten 
Zeit oben in der Wohnung des Chefs erschienen war, mußte ich 
etwa zehn Minuten im chinesischen Zimmer warten, weil Bülowt 
bei ihm war. Dann meldete mich der Kanzleidiener Mantey. Als 
ich eintrat, saß der Fürst in seinem blauseidnen Schlafrock hinter 
seinem Schreibtisch und sah recht wohl und freundlich aus. Er 
reichte mir die Hand und lud mich ein, ihm gegenüber Platz zu 
nehmen, wie bei meiner ersten Unterredung mit ihm im Februar 
1870. Dann entspann sich folgendes Gespräch. 
Er: „Nun Sie wollen weg. Sie haben mir hier den Brief 
geschrieben. (Er faltete ihn, der vor ihm lag, auseinander, und ich 
bemerkte, daß er eine Stelle darin mit Bleistift angestrichen hatte.) 
Entschuldigen Sie, wenn ich erst jetzt darauf antworte. Sie hatten 
sich auf eine Abmachung bezogen, auf die ich mich nicht besinnen 
konnte. Da habe ich denn an Keudell schreiben lassen, und dessen 
Antwort ist gestern eingelaufen. Danach sind Sie in Ihrem Rechte, 
und ich habe Bülow veranlaßt, daß dies so geordnet wird. Sie 
werden das bekommen, was Ihnen zugesichert ist, aber Ihre Gegen- 
leistung ist danach eine geringe. Wir setzen bloß voraus. Nur 
freiwillig.“ 
Ich erwiderte, daß ich trotzdem so fleißig als möglich sein 
werde. Meine Beschäftigung sei in der Hauptsache die Politik, und 
ich würde nur einem moralischen Imperative folgen, wenn ich seine 
Politik unterstützte. Ich könnte gar nicht anders, hätte für ihn 
geschrieben lange bevor ich von ihm dafür bezahlt worden wäre, 
u. a. m. Ich wollte aber nicht bloß, sondern würde auch in der 
Lage sein, ihm zu nützen, da ich in einigen Monaten die Chef- 
  
1 Bernhard von Bülow, damals Staatssekretär des Auswärtigen Amts seit 
1873. Er starb am 20. Oktober 1879 und stand dem Fürsten sehr nahe. Poschinger, 
Bismarck und der Bundesrat I, 73 ff. III, 190 ff. Tischgespräche I, 102. II, 95. 102.
	        
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