Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

406 Dreiundzwanzigstes Kapitel 3. Mai 1874 
ihre Berichterstattung hinreichend Gelegenheit, ihre Ansichten geltend 
zu machen; ist aber die Entscheidung getroffen, so haben sie ihre 
Instruktionen mit gutem Willen auszuführen. In einem Kollegium 
entscheidet sich ein Dissensus leicht durch Abstimmung, ohne Schaden 
für die Landesinteressen. In einem Dissensus aber zwischen einem 
vorgesetzten Minister und seinem Untergebnen, der die Weisungen 
seines Ressortchefs nicht befolgt, ist es schwer, unter geordneten 
staatlichen Verhältnissen eine andre Entscheidung zu finden, als daß 
einer von beiden den Dienst verläßt. Der Fall dürfte hier einge— 
treten sein, 1 und es ist im Interesse des Dienstes nur zu beklagen, 
daß er nicht früher eingetreten ist." 
Bald nachher folgte die Ubersetzung der Schlußstellen eines 
Artikels des Hour, von dem anzunehmen ist, daß Bucher ihn ver- 
faßt oder mindestens veranlaßt hatte. Es hieß da: „Die That- 
sache, daß der Reichskanzler sich so lange von einem Untergebnen 
eine so tadelsüchtige und widerspenstige Haltung hat gefallen lassen, 
zeigt uns die großen innern Schwierigkeiten, mit denen dieser 
Staatsmann während seiner ganzen Laufbahn zu kämpfen gehabt 
hat, und die das Publikum niemals in ihrer ganzen Ausdehnung 
kennen lernen wird. Diese Schwierigkeiten waren die natürlichen 
Folgen des Übergangs von der absolutistischen zu der konstitutio- 
nellen Regierungsform. Selbst nach Proklamierung der Verfassung 
unter Friedrich Wilhelm dem Vierten fuhren viele Gesandte fort, 
die Traditionen des frühern absoluten Regime zu befolgen; sie oppo- 
nierten dem Minister des Außern und bestrebten sich, ihre eigne 
Politik bei dem Könige zur Geltung zu bringen. Ein derartiger 
Zustand, der die preußische Diplomatie in betreff der Disziplin und 
ihrer Erfolge in Verruf brachte, konnte unmöglich von einem Staats- 
manne ertragen werden, der sein Amt mit so weitreichenden Plänen 
antrat wie Fürst Bismarck. Ein derartiges Verhalten paßt auch 
wenig einem Manne gegenüber, der so offen und entschlossen ist 
wie der Kaiser Wilhelm. Die Versuche des Grafen Goltz und andrer, 
die wir weiter nicht erörtern wollen, da die betreffenden Personen 
  
1 Graf Arnim wurde am 22. Februar 1874 aus Paris abberufen, nach- 
dem dort die legitimistische Restauration im Oktober 1873 gescheitert war, und 
überreichte im April sein Abberufungsschreiben.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.