Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

426 Dreiundzwanzigstes Kapitel 19. April 1877 
Als wir aber an die Thür kamen, sagte der Chef: „Bleiben Sie 
noch einen Augenblick, Herr Doktor, ich möchte Ihnen noch was 
mitteilen.“ Er fügte darauf noch einiges zu dem am vergangnen 
Nachmittage über die Kaiserin und ihre Bonbonschachtel Bemerkten 
hinzu. Ich fragte: „Wie hat sich denn Thile dabei verhalten? 
Der ist mir immer anständig vorgekommen.“ — Er entgegnete: 
„Das ist doch nicht ganz der Fall, er hat sich in der Diest-Daberschen 
Sache nicht gut aufgeführt,“ was er darauf näher erörterte. 
Ich versprach ihm nochmals fleißige Benutzung dessen, was er 
mir tags vorher mitgeteilt hatte. Es müßte aber immer wiederholt 
werden, Junge kriegen, wie er mir früher einmal von einem Artikel 
gesagt hatte, nicht sobald fallen gelassen werden. „Dafür werde 
ich Ihnen sehr dankbar sein,“ versetzte er. Ich dankte ihm dann 
noch kurz für sein Vertrauen und sagte, ich ließe mich für ihn in 
Stücke hauen; denn er wäre für mich wie ein Prophet Gottes auf 
Erden. Er drückte mir die Hand und entließ mich dann mit den 
Worten: „Auf Wiedersehen in Varzin!“ Segen auf sein Haupt! 
Nach Leipzig zurückgekehrt, schrieb ich sofort nach einem Teile 
des in Berlin erhaltenen Materials den zweiten Friktionsartikel 
der folgenden Wortlaut hatte: 
Der Reichskanzler auf Urlaub 
Berlin, 19. April 
„Der Reichskanzler ist auf Urlaub gegangen, er hat die ver— 
langte Entlassung nicht bekommen, er hat nicht auf Gewährung 
derselben bestanden. Damit ist die Krisis beendigt. Der Fürst 
wird wiederkommen, wenn auch wahrscheinlich etwas später wie 
gewöhnlich, er wird, gekräftigt durch Badekur, Landluft und Ent— 
ferntheit von den Geschäften, wieder ans Ruder treten, und alles 
wird sein wie zuvor. Freuen wir uns dessen! 
„So ungefähr die Anschauung vom Stande der Dinge, wie 
man sie in der Presse ausgedrückt findet. Erlauben Sie einer andern 
Ansicht das Wort. 
„Die Krisis ist nicht beendigt, sondern nur vertagt. 
Die Frage, ob Fürst von Bismarck aus dem Dienste Preußens und 
des Reiches ausscheidet, ist unter freudigem Aufatmen aller, die es 
mit beiden wohlmeinen, mit nein beantwortet, aber nur vorläufig.
	        
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