428 Dreiundzwanzigstes Kapitel 19. April 1877
von dieser traurigen Spezies Diplomaten. Eine ganze Kette von
Exzellenzen und Nichtexzellenzen, wegen Unfähigkeit oder andrer
Mängel, ultramontanen oder reaktionären Velleitäten u. dergl. kalt
gestellt, frondierte, konspirierte und intrigierte, immer mit Eifer,
oft mit den unlautersten Mitteln, bisweilen im Vereine mit recht
ordinären Elementen, gegen die Größe, die sie überragte und in
ihrer bequemen Herkömmlichkeit störte, versuchte dem Kanzler seine
Pläne zu kreuzen, seinen Charakter zu verdunkeln oder ihn wenigstens
zu ärgern und so seiner Gesundheit zu schaden. Auch ein Teil der
Parteien, auf die sich der Fürst im Reichstage stützt, erschwerte und
begrenzte, indem er — allerdings mit wohlmeinendem Sinn — das
Kritisieren als erste Pflicht und Zier des Volksvertreters ansah,
mitunter die Wirksamkeit seines Einflusses. Die Hauptschranke
seines Einflusses aber ist — und bleibt vielleicht, wenn die öffent—
liche Meinung nicht die Augen aufthut und sich kräftiger und nach-
haltiger rührt als bis jetzt — das ihnen vor vierzehn Tagen an—
gedeutete Unwesen am Hofe, wo um eine gewisse hoch gelegne
Stelle der Bodensatz der Kreuzzeitungsgesellschaft und der inveterierten
Herrenhausopposition mit dem ultramontanen Gifte aus den Ka—
nälen Roms zusammen geflossen ist, und von wo aus der Politik
des Kanzlers unaufhörlich Verdrießlichkeit bereitet, bald der bald
jener Stein in den Weg gewälzt und durch immer neue Ermutigungen
der Gegner der sonst wohl schon eingetretne Sieg aufgehalten wird.
„Eine nähere Bezeichnung dieser Bonbonniere voll Kreuz-
zeitungskonfekt und Jesuitenkonfituren muß auch heute unterbleiben.
Doch mögen aufmerksame Zeitungsleser durch möglichst schonende Hin-
deutung auf einige Beispiele an die Art und Weise erinnert werden,
in der sich die Kräfte, Zwecke und Ränke dieser Hofopposition
— die beiläufig schon seit geraumer Zeit bohrt und wühlt — in
den letzten Monaten geltend und fühlbar machten. Der Chef-
redakteur eines großen reaktionären Blattes, das seit Jahren schon
bemüht war, der Regierung dem Kaiser die Gemüter zu entfremden,
wird, endlich wegen Verleumdung von Ministern angeklagt und
verurteilt, gegen das eingeforderte Gutachten der beleidigten Mi-
nister auf Verwendung — nun, sagen wir einer hohen Dame —
begnadigt (nach andrer Version wenigstens beurlaubt). Dieselbe
hohe Dame schreibt in veröffentlichten Briefen an katholische Vereine,