438 Dreiundzwanzigstes Kapitel 14. Mai 1877
liegenden Grund, lediglich aus Gefälligkeit gegen die Herren Eng-
länder, damit diese sich nicht so sehr für ihre Interessen am Bos-
porus zu echauffieren brauchten und mit Seelenruhe ihren Schacher
weiter betreiben könnten, zu zwingen verpflichtet gewesen wären,
Frieden zu halten — daß also jenes mindestens sehr eigentümliche
Verlangen auch noch auf einem andern Wege, den wir die Leser
dieser Korrespondenzen erraten lassen, an Seine Mojestät gelangt
ist und hier warme Befürwortung gefunden hat. Dazu ist aber
folgendes zu bemerken. Seine Majestät ist durchaus friedfertig. Er
wünscht aufrichtig, sich, dem deutschen Volke, der ganzen Welt neue
Kriege erspart zu sehen. Er ist infolge dieser Stimmung geneigt,
Wünschen und Ratschlägen Gehör zu schenken, die nach der Meinung
derjenigen, die sie ihm vortragen, dem Frieden dienen. Aber solche
Ratschläge können, wenn sie nicht von einer hohen Intelligenz, von
einem weiten Blick, der alle in Betracht kommenden Umstände und
Möglichkeiten umfaßt, eingegeben sind, gerade zum Gegenteile dessen,
was sie bezwecken, also gerade zum Kriege führen. Im Januar
beschwor die Times den Reichskanzler, zu befehlen, daß Ruhe ge-
halten werde. Etwas später richtete sie eine gleiche bewegliche An-
sprache an den Kaiser, und mit Bestimmtheit dürfen wir annehmen,
daß die Königin Viktoria von ihrem pfiffigen semitischen Berater!
veranlaßt worden ist, mit Benutzung des oben angedeuteten Kanals
gleichzeitig in demselben Sinne zu wirken.
„Gesetzt nun den Fall, Deutschland hätte sich — man kann in
der That kaum einen andern Ausdruck gebrauchen — breitschlagen
lassen, es hätte sich in Positur gesetzt und Ruhe in Europale ge-
rufen, Rußland aber hätte sich an das Machtwort nicht gekehrt und
marschieren lassen, was wäre dann geschehen? Nun, entweder hätten
wir dann zur Erhaltung des Friedens einen Krieg mit den Russen
führen müssen, bei dem wir im günstigsten Falle dem hochherzigen
Albion die Kastanien aus dem Feuer geholt haben würden, oder
unser Machtwort hätte sich als ein Wort der Ohnmacht erwiesen,
wir wären blamiert gewesen — blamiert um der Interessen Eng-
lands willen obendrein, einer Macht, die uns Deutschen nie im
Ernste wohlgewollt hat, und die uns unsre jetzige Bedeutung in
1 Disraeli (Lord Beaconsfield).