Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

442 Dreiundzwanzigstes Kapitel 9. Juni 1877 
der Personen, denen die Leistungen des Reichskanzlers zu mißfallen 
das Unglück haben, ein Porträt fehle. Übergangen hatten wir den 
genannten Herrn, vergessen aber nicht, ihn so wenig wie manchen 
andern, indes es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigne Plage 
hat. Herr von Schleinitz hat, als er die Siegel des Auswärtigen 
Amtes führte, allerdings eine ganz und gar andre Politik getrieben 
als der Fürst Bismarck, und deshalb ist es am Ende kein Vor— 
wurf für ihn, daß ihm die Bismarcksche nicht gefällt. Den Inhalt 
und Erfolg der Schleinitzschen, die ihrer Zeit als die Politik der 
moralischen Eroberungen bezeichnet wurde, zu zergliedern und zu 
würdigen, versagen wir uns, indem wir dies der Geschichte über— 
lassen, wobei wir freilich anzunehmen haben, daß in ihr der Name 
von Schleinitz anderswo Platz finden wird als in Parenthesen, wie 
sie der alte Schlosser in seinem Kolleg zu machen und in seinen 
Werken unter den Text zu setzen pflegte — zur Charakterisierung 
des Hoflebens. 
„Aber das erlauben wir uns auszusprechen, daß er als Diplomat 
kein Glück gehabt hat. 
„Wir haben sagen hören, daß das Königliche Hausvermögen, 
anders verwaltet, erheblich mehr einbringen könnte. Wäre das so, 
so würde auch das kein Vorwurf sein: ein Diplomat braucht nichts 
von der Verwaltung großer Güter und Forsten zu verstehen und 
darf es, wenn er wirklich nichts davon versteht, als sein Unglück 
bezeichnen, daß er zum Verwalter solcher Besitztümer bestellt 
worden ist. 
„Unglück verfolgt den Freiherrn von Schleinitz auch sonst. Diest- 
Daber hat gehört und erzählt in seinem Prozesse, daß die Reichs- 
glocke dem Kaiser durch eine Dame Namens Schleinitz zugestellt 
worden sei. 1 Herr von Schleinitz dementiert diese Angabe vermittelst 
des Staatsanzeigers; aber nun fragen malitiöse Korrespondenten, 
ob das Zeugnis des Ehemanns für seine Frau vollen Beweis 
mache. Der Mitarbeiter eines andern Blattes will ihm mit der 
Vermutung zu Hilfe kommen, der Klatsch sei daher entstanden, daß 
ein früherer Untergebner des Hausministers, auch jetzt noch häufig 
in dessen Hotel gesehen, der Geheime Regierungsrat Bernhard, sich 
  
1 G. u. E. II, 284.
	        
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