452 Vierundzwanzigstes Kapitel 17. Okt. 1877
Nachdem man die Dörfer Gnatzow und Wusterwitz passiert hat,
beginnt das Land hügelig zu werden. Nicht fern vom letztgenannten
Orte nahm uns ein schöner Laubwald von blutroten Buchen auf,
aus dessen Saume gelbe Birkenwipfel und noch grüne Eschen heraus—
sahen. Die ganze Farbenpracht des Herbstes war über ihn aus—
gegossen; fast dachte man an Glühen und Aufflammen. Wir fuhren
zweimal über ein Flüßchen mit Kiesgrund und krystallhellem Wasser,
wie es sonst nur die Bäche des Gebirges haben. Es war die viel
gewundne Grabow. Nachdem wir sie das zweite mal gekreuzt
hatten, waren wir schon auf dem Gebiete der Herrschaft Varzin,
die hier rechts von der Straße an die Besitzungen des Herrn von
Loẽn auf Crangen, links an die stattlichen Forsten des Fürsten
Anton von Hohenzollern grenzt.
Ein Stück von hier teilt sich die Chaussee in zwei Arme, von
denen der rechte nach Pollnow, der linke zunächst nach dem Dorfe
Wussow, dann nach Rummelsburg führt. Der Schwager schlug
mit seinen Pferden die letzte Richtung ein. In Wussow, einem
ziemlich ansehnlichen Orte mit Kirche und Postamt, verließen wir
die große Straße und bogen links in einen sandigen Fahrweg ein,
auf dem wir zwischen zum Teil alten und schönen Bäumen noch
drei Kilometer weiter fuhren. Zu beiden Seiten streckten sich, zur
Linken etwas ansteigend, Felder, Wiesen und Triften hin. Zuletzt
erschien wieder ein Stück roter Buchenwald und etwas Feld. Im
Walde, der die Lehne einer flachen Bodensenkung bedeckte, in der
der Wagen zwischen den prächtigen lichtgrauen Stämmen hinab—
rollte, ließ der Postillon sein Hörnchen durch die tiefe Stille er—
schallen. Der Wald öffnete sich. Links lag ein Garten mit Obst—
bäumen, rechts Ackerfeld mit dunkeln Furchen. Die Pferde wandten
sich nach jener Seite hin. Noch ein paar hundert Schritte auf ge—
pflastertem Wege, und wir waren mitten in der Gruppe von Ge—
bäuden, die den Haupthof der Herrschaft Varzin bilden.
Der Postillon wollte hier halten. Ich ließ ihn aber weiter
nach dem tiefer gelegnen „Gasthause“ fahren, um mich umzukleiden
und mich melden zu lassen. Es war eine dürftige Kabache, in der
sich Berliner Schutzmänner einquartiert hatten, die mir gefällig ihre
1 Dieser Wirtschaftshof liegt vom Herrenhause ganz getrennt.