Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

10. Januar Sechzehntes Kapitel 33 
bemerkte, es werde doch von Jahr zu Jahr großstädtischer, auch in 
seiner Denkart und Empfindung, und das wirke auch auf die Ver— 
treter der Stadt einigermaßen. „In diesen letzten fünf Jahren haben 
sie sich doch sehr geändert,“ sagte Delbrück. — „Das ist richtig,“ er— 
widerte der Chef. „Als ich aber 1862 zuerst mit den Herren zu thun 
bekam — wenn sie da gewußt hätten, welcher Grad von Verachtung 
gegen sie in mir kochte, sie wären mir niemals wieder gut geworden.“ 
Die Rede ging auf die Juden über, und der Minister wünschte 
zu wissen, warum der Name Meier unter ihnen so häufig vor— 
komme. Der sei doch deutschen Ursprungs und bedeute in West— 
falen einen Landbesitzer, während Juden früher nirgends Land be— 
sessen hätten. 
Ich erwiderte: „Um Vergebung, Exzellenz, der Name stammt 
aus dem Hebräischen. Er findet sich schon im Alten Testament, 
dann auch im Talmud und heißt eigentlich Meir, was mit Or, 
Licht, Glanz zusammenhängt, sodaß er etwa: der Erleuchtete, Glän— 
zende, Strahlende bedeutet.“ 
Der Chef fragte weiter: „Dann ist der Name Kohn sehr häufig 
bei ihnen — was mag das heißen? 
Ich entgegnete, es heiße Priester, ursprünglich Kohen. Aus 
Kohen sei Kohn, Kuhn, Cahen, Kahn geworden, und Kohn oder 
Kahn verwandelten sich mitunter auch in Hahn, was einige Heiter— 
keit hervorrief, da man sich dadurch vermutlich an den Chef des 
Berliner Litterarischen Büreaus, den „Preßhahn“ erinnert fand. 
„Ja — fuhr der Minister fort —, ich bin doch der Meinung, 
daß sie durch Kreuzung unschädlich gemacht werden müssen. Sonst 
gehts nicht gut.“ — „Die Resultate sind nicht übel.“ Er nannte 
einige adliche Häuser, die Lynar, die Styrum, die Gusserow, und 
bemerkte: „alles ganz gescheite, nette Leute.“ 
Dann fügte er nach einigem Nachdenken und mit Auslassung 
eines Zwischengedankens, der wahrscheinlich auf die Verheiratung 
vornehmer Christentöchter, deutscher Baronessen, mit reichen oder 
talentvollen Israeliten ging, hinzu: „Übrigens ist es wohl umge- 
kehrt besser — wenn man einen christlichen Hengst von deutscher 
Zucht mit einer jüdischen Stute zusammenbringt. Das Geld muß 
wieder in Umlauf kommen, und es giebt auch keine üble Rasse. 
Ich weiß nicht, was ich meinen Söhnen einmal raten werde.“ 
Busch, Tagebuchblätter II 3
	        
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