460 Vierundzwanzigstes Kapitel 18. Okt. 1877
Säumen der Lichtungen Liebeslieder und das Lob der Morgensonne
erschallen läßt, hohe Reize haben, und daß selbst der Winter ein
anmutiges Bild aus solchem Walde zu schaffen vermag, wenn seine
Winde die Bäume entblättert haben, und wenn ein Nebelfrost ihr
Gezweige mit einer silbernen Filigranarbeit schmückt.
Ein andrer Park, der kleiner ist, liegt im Norden des Häuser—
komplexes, jenseits der Landstraße. Er hat künstlich hergestellte
Rasenplätze und zeigt außer Laubholz auch Nadelbäume von statt-
licher Größe, worunter namentlich eine Fichte mit zwei Wipfeln
ins Auge fällt. Daneben liegt rechts die Wohnung des Oberförsters
mit einigen Nebengebäuden, links eine große Wagenremise mit einem
Uhrtürmchen, dahinter ein ausgedehnter Obst= und Gemüsegarten.
Weiterhin auf derselben Seite und tiefer unten an der sich senkenden
Fahrstraße folgt das nach dieser hin offne Viereck der Scheunen
und Ställe des Gutes, an das sich noch weiter unten das Dorf
Varzin anschließt.
Wir kehren nun in den Hof vor der Vorderfront zurück, um
das Innere der Wohnung des Kanzlers und seiner Familie zu
durchwandern, das ebensowenig wie das Außere einen anspruchs-
vollen Charakter hat oder besondern Gefallen an Luxus verrät,
aber durchweg gefällig und behaglich ist. Man tritt hier in das
Haus eines wohlhabenden Landedelmanns, nicht in das Schloß
einer Durchlaucht. Die Fußböden zwar sind fast durchgehends mit
Parkett versehen, die Stubendecken aber nur einfach weiß ange-
strichen. Prachtstücke von Teppichen, Portieren und Gardinen,
Schnitzwerke von Künstlerhand, besonders kostbare Uhren kommen
gar nicht, vergoldete und mit Seide überzogne Stühle, Tischplatten
und Konsolen von Marmor nur im Salon und im Zimmer der
Fürstin vor. Olgemälde sind selten. Dafür aber giebt es an
mehreren Stellen gemütliche Nischen und freundliche Ausblicke durch
die Fenster. Fast alle Gemächer sind reichlich mit bequemen Polster-
und Schaukelstühlen, Divans und Sofas ausgestattet, und alle
haben Kachelöfen mit Kaminen, die mit dem ersten Eintritt von
einigermaßen kühler Witterung geheizt werden, denn der Fürst liebt
wie alle nervösen Naturen die Wärme und bedarf ihrer vermutlich
aus Gesundheitsrücksichten. Auch ist der Herbst hier oben beträcht-
lich rauher als in Mitteldeutschland.