478 Vierundzwanzigstes Kapitel Varzin
hübsche Aussicht auf den gewundnen Fluß, den schäumenden Strudel
unter der Mühle und den Spiegel der Stauung gewährte, von
deren Wasser einzelne Bäume bis an die Wipfel bedeckt waren.
Zuletzt überschritten wir die Wipper auf einer weiter oberhalb ge—
legnen Brücke beim Dorfe Beschwitz wieder und fuhren über eine
kahle Bodenerhebung bei dämmerndem Abend nach Varzin zurück,
wobei wir von einem heftigen Schneesturm überfallen wurden, der
fast eine Viertelstunde währte und seine Flocken wie Nadeln ins
Gesicht trieb.
Bei Tische, wo unter anderm die heute gefangnen Karpfen
verzehrt wurden, sprach der Chef zuerst eingehend von verschiednen
guten Fischen, Schnepeln, mir unbekannt, Maränen, die wir in
Versailles gehabt hatten, Forellen und andern Arten, dann ver—
breitete er sich über die Geschichte seiner Herrschaft und deren jetzige
Verhältnisse. Ich fragte nach der Bedeutung des Namen Varzin
und äußerte die Vermutung, daß es derselbe wie Wurzen in Sachsen
und wohl auch wie Wriezen in Brandenburg sei. Der Fürst hielt
das für sehr möglich und bemerkte dann: „Ich weiß nicht, was
daran ist, aber Graf Bninski (so verstand ich) sagte mir einmal,
daß Varzin von Wawre, polnisch Lorbeer, herkäme, und machte
mich darauf aufmerksam, daß Schlawe, das slawische Slawa, Ruhm
bedeute. Es wäre doch ein eigentümliches Zusammentreffen.“ Ich
meine das auch. Aber wenn die Erklärung des Namens jenes
Nachbarstädtchens vielleicht richtig ist, so wird man stark bezweifeln
müssen, daß Varzin nach einem Orte wo Lorbeeren wachsen, nach
einem hinterpommerschen Lorbeerhaine benannt worden sei. Un-
denkbar ist, daß natürliche Augen in der Zeit, wo die Namen der
Städte und Dörfer entstanden, hier oben in der Heimat der Buche
und Föhre, jemals dem südlichen Baume begegnet sein sollten, der
die Siegreichen krönt. Als hübsches Spiel aber wollen wir die
Vorstellungen Ruhm, Lorbeern und Bismarck neben einander be-
stehen lassen. Vor dem geistigen Auge wuchs, wie die Welt weiß,
in Varzin Lorbeer in Fülle.
Freitag, den 19. Oktober. Während der Chef beim Früh-
stück Briefe und Depeschen studierte, erzählte er unter anderm, daß
seine Gemahlin aus Tölz schriebe, der König Ludwig habe ihr
dieser Tage ein prachtvolles Bouquet geschickt, das wenigstens drei-