Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

494 Vierundzwanzigstes Kapitel Varzin 
nur so gemeint, daß andre Überschüsse, die allerdings vergleichs— 
weise nicht sehr ins Gewicht fallen mochten, von den erwähnten 
Ameliorationen des Landes, Drainagen, Berieselungen, Scho— 
nungen u. s. w. aufgezehrt worden waren. Dabei blieb dem gegen— 
wärtigen Besitzer in der That nur ein geringer oder gar kein direkter 
Gewinn, wohl aber wurden die Güter für die Nachkommen ertrags- 
fähiger und wertvoller. 
Das Dorf Varzin liegt größtenteils im Norden und Osten des 
Herrenhauses und seiner Wirtschaftsgebäude. Es ist klein und un- 
ansehnlich, nur eine doppelte Häuserreihe neben der Fahrstraße und 
hat, wenn ich richtig verstanden habe, nicht mehr als fünf Bauern. 
Die übrigen Bewohner des Ortes sind, wie man zu sagen pflegt, 
„kleine Leute,“ Kätner, Tagelöhner und Dorfhandwerker. Die 
Schutzmänner, die im Wirtshause wohnen, sind zur Sicherung des 
Fürsten gegen Attentate und ähnliches hierher kommandiert und 
bleiben immer nur so lange hier, als er bleibt. Natürlich ist Varzin 
mit der Hauptstadt des Reichs durch eine Telegraphenleitung ver- 
bunden, und ebenso ist im Orte (oder im nahegelegnen Wussow) 
ein Postbeamter. Er sah, wie erzählt wurde, in einem der letzten 
Jahre nicht weniger als nahezu sechs und einhalbtausend Briefe 
und Pakete und über zehntausend Telegramme durch seine Hände 
gehen — Summen, bei denen man sich erinnern muß, daß sie sich 
mit ganz geringen Ausnahmen über die fünf oder sechs Monate 
verteilen, die der Kanzler in diesem Jahre hier zubrachte. Die 
Couverts der Briefe werden ein erhebliches Stück Weltgeschichte ein- 
geschlossen, die Telegraphendrähte allerlei Politisches und darunter 
hochbedeutsame Momente in der Entwicklung des Kulturkampfes, in 
den Beziehungen des Kanzlers zu den fremden Mächten, zu der 
ihm damals nahestehenden nationalliberalen Partei und den 
preußischen Ministern und zu den Regierungen der Bundesstaaten 
des Reiches über Berg und Thal hierher und von hier weggeleitet 
haben. Diese wie jene vermittelten aber auch andres und dabei 
viel Unbequemes und Unerwünschtes, das ich nicht verschweigen darf, 
da es zu den Schattenseiten des Lebens gehört, das der Fürst hier 
führte. 
Fürst Bismarck pflegte in Varzin die eine oder die andre 
Nachkur zu gebrauchen, Brunnen zu trinken u. a. Dabei wäre ihm,
	        
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