Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

502 Fünfundzwanzigstes Kapitel Schönhausen 
Würfel bildet. Man sieht ihm an, daß es seit Jahren selten Be- 
wohner gehabt hat. Die sinkende Sonne und der Herbst, der die 
Stelle vor der Thür mit gelben Blättern bestreut hatte, verstärkten 
den melancholischen Eindruck, den das verlassene Haus machte. Über 
seiner schlichten Flügelthür, nach der weder eine Freitreppe noch 
eine Rampe führt, sind zwei steinerne Wappen, rechts das Bis- 
marcksche mit dem doppelten Dreiblatt, Klee und Eichenlaub, links 
das Kattesche, worin eine Katze mit einer Maus spielt, angebracht. 
Darunter liest man die Namen August von Bismarck und Dorothee 
Sophie Katten und die Jahreszahl 1700. Jene bezeichnen das Ehe- 
paar, das das Haus zuerst bewohnte, diese giebt die Zeit an, wo 
es, nachdem es im Dreißigjährigen Kriege zerstört worden war und 
dann wüst gelegen hatte, wieder aufgebaut worden ist. 
Wir waren unter verschiednen Gesprächen wieder an die drei 
alten großen Kastanienbäume gekommen, die den Platz vor dem Ein- 
gange beschatten, als Kohnert mich auf ein viereckiges Loch in dem 
Stamme des dritten aufmerksam machte. „Hier kann ich Ihnen 
gleich was zeigen, wovon die andern nichts wissen,“ sagte er. „In 
dieses Loch haben die Bismarcks ihre Kelter gesteckt, wenn sie ihren 
Wein machten."“ 
„Wein? Also sie bauen hier auch Wein? Zum Trinken?“ 
fragte ich halb verwundert und halb erschrocken, indem ich in dem 
Augenblicke nicht daran dachte, daß noch weit höher im Norden, bei 
Brandenburg, im Posenschen sogar Weinbau dieser Art verübt wird. 
„Johannisbeerwein,“" erwiderte der Inspektor. 
Ich hatte — so unwissend sind wir Großstädter — davon noch 
nie gehört und gestand das, auch daß ich diese Gottesgabe einmal 
zu trinken verhoffte. 
Die Antwort war, da könnte ich den Bismarckschen Wein von 
damals ja gleich einmal bei ihnen probieren. Ich sah keinen Grund, 
warum nicht, und nahm die Einladung zur Bereicherung meiner 
Kenntnisse an. Wir gingen in die Wohnung des Inspektors. Ich 
blieb bis acht Uhr, aß mit den liebenswürdigen Leuten zu Abend 
und probierte. Der Wein, den sich die Bismarcks einst an der 
großen Kastanie gekeltert haben, und von dem sich Inspektors noch alle 
Jahre eine Anzahl Flaschen bereiten, schmeckt recht gut, fast wie der 
süße Ungar, den man in der Schsischen Schweiz bekommt, und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.