Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

Schönhausen Fünfundzwanzigstes Kapitel 507 
Zifferblatt und einen ungewöhnlich hellen Schlag hat. Vielleicht 
schreibt sich daher, daß der Bewohner dieses Gemachs sich gewöhnte, 
immer genau zu wissen, wie viel es geschlagen hatte — auch an 
der Uhr der Weltgeschichte. An der Wand dem Sofa gegenüber 
begegnen wir einem altmodischen Schreibsekretär, und daneben hängen 
Stahlstiche und Lithographien von Bildern, die vor einem Menschen- 
alter von sich reden machten: der Schutzengel der Wagnerschen Samm- 
lung, des Rekruten Abschied, der heimkehrende Krieger, Johannes 
der Täufer als Knabe dem Jesuskinde huldigend, die Madonna 
Montfort, und über ihr ein hübsches Porträt von Bürgers Molly. 
An einem der beiden Fenster des Zimmers, zwischen denen ein 
Spiegel hängt, kommen zu diesen nicht viel bedeutenden Kunst- 
produkten einer vergangnen anspruchslosen Zeit noch ein paar in 
die Scheibe eingefügte Lichtbilder mit buntem Glasrahmen. 
Aus dem Arbeitszimmer gehen wir durch eine Thür zur Rechten 
von den Fenstern in ein Ankleide= und Schlafgemach, das auf den 
Kirchhof hinaussieht. Die Tapete hier ist grau übertüncht, von der 
weißen Decke hängt eine topfförmige weiße Ampel mit einer grünen 
Guirlande herab, und auf dem Ofen sitzt ein Adler von Gips. Sonst 
enthält die Stube einen alten rötlichen Kleiderschrank, ein mit Leder 
überzognes Sofa und zwischen den beiden Fenstern eine Kommode, 
über der ein Spiegel hängt. Ein breiter Vorhang von rotem Kattun 
teilt ein Stück vom Zimmer ab, und in diesem alkovenartigen Raume 
sind zwei Bettstellen ohne Betten. Sie bezeichnen den Ort, wo am 
1. April 1815 Otto von Bismarck das Licht der Welt erblickte. 
Begeben wir uns von hier in das Arbeitszimmer zurück und 
von da in die daranstoßende Bibliothek, so haben wir eine ziemlich 
große, aber gleich allen übrigen Räumen des Hauses nach heutigen 
städtischen Begriffen niedrige Stube, die indes unter Umständen be- 
haglich sein kann, vor uns. Die Wände sind rosenfarben ange- 
strichen, und in ihrer Mitte steht ein schwerer, mit Wachstuch über- 
zogner Tisch, an dem ein paar Generationen studiert haben können. 
Rechts von der Thür, durch die wir eingetreten sind, gewahren wir 
einen gelben Glasschrank mit drei Thüren, hinter deren Scheiben 
eine stattliche Anzahl von Büchern und Broschüren, darunter viele 
in Folio und Schweinsledereinband, zu sehen sind. Dann folgen 
in der nächsten Wand zwei Fenster, dazwischen ein Stehpult mit
	        
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