Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

Schönhausen Fünfundzwanzigstes Kapitel 509 
erleuchteter Saal ist. Er enthält nichts als einige Schränke und 
links an der Wand den Stammbaum des Geschlechts der von Bis— 
marck, der in seinen untern Teilen wie von Stichen oder Hieben 
beschädigt ist — „durch 1813 hier einquartierte Franzosen,“ be— 
richtete mein Begleiter. 
Die übrigen Stuben und Kammern dieser Etage scheinen gegen— 
wärtig nur zu Rumpelkammern benutzt zu werden oder für gewöhnlich 
ganz leer zu stehen. In der einen wies mir Herr Kohnert die Kelter 
oder Presse, mit der man ehedem an der dicken Kastanie unten 
seinen Wein gemacht hat — eine sehr einfache Maschine, die un— 
gefähr wie ein recht großer viereckiger Federkasten aussieht. Viel— 
leicht wohnt in einer besonders abgelegnen, von diesen sonst nur von 
Holzwürmchen, webenden Spinnen und spielenden Sonnenstäubchen 
belebten Räumen mit ihrem halb abgebröckelten Kalkputz und ihren 
rostigen Schlössern und Thürangeln das Hausgespenst, von dem 
Hesekiel allerlei Schauriges zu erzählen weiß. Wahrscheinlicher ist 
indes, daß es, verdrießlich über die neue Zeit, ausgezogen und in 
das „alte romantische Land“ entflohen ist, gleich den kleinen Puken 
und Kobolden, die ehedem, halb tückisch, halb drollig, bei guter 
Behandlung gewöhnlich hilfreich und gefällig, wie anderwärts in 
norddeutschen Dörfern auch in den Ställen und Scheunen der Bauern— 
höfe Schönhausens gespukt haben werden. Mir bei dem Inspektor 
Gewißheit über die Sache zu verschaffen schämte ich mich. Er sah 
nicht aus, als ob man ihm mit solchem Schnack kommen dürfte. 
Wenn ich einen Rückblick auf das an diesem Morgen Gesehene 
werfe und mir den Gesamteindruck vergegenwärtige, den das Stamm— 
haus des Reichskanzlers nach seinem Innern zurückläßt, so gehört 
eine stark treibende Phantasie dazu, um es überhaupt mit roman— 
tischen Liebhabereien in Verbindung bringen zu können. Es ist jetzt 
ein unbewohntes Haus, still, einsam, tot und insofern ein wenig 
unheimlich. An sich aber hat es nichts Ungewöhnliches, nichts mittel- 
alterlich Schauerliches und Großartiges. Gesunde Augen, nüchterner 
Sinn begegnen nicht einem einzigen Zuge, der an eine Burg der 
Ritterzeit oder an ein stolzes Schloß in der Welt der Romane 
denken läßt. Nichts von dämmrigen Korridoren und Sälen mit 
finster oder wehmütig auf uns herabschauenden Ahnenbildern, nicht 
das Geringste von hohlklingenden Fußböden, geheimnisvollen Wand-
	        
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