Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

512 Fünfundzwanzigstes Kapitel Schönhausen 
zukehrt, oder aus welchem andern Grunde, weiß ich nicht; ich kann 
nur bezeugen, daß die Spuren eines Schrotschusses noch deutlich zu 
erkennen sind. 
Im Frühling sind die Gebüsche des Parks ein Sammelplatz 
der Nachtigallen dieser Gegend, die mit andern sanglustigen Vögeln 
den Bewohnern des Gehöfts Morgen- und Abendkonzerte geben. 
Jetzt, im Herbste, ist hier alles still, wenn nicht der Wind die Wipfel— 
orgel spielt, so still, daß man das Summen der Mücken über dem 
Teiche und das leise Geräusch hört, das ein fallendes Blatt macht. 
Nur zuweilen erschallt aus den Lüften das Krächzen eines Raben, 
das Geschrei eines Mäusefalken, der droben seine Kreise zieht, oder 
das Rasseln und Pfeifen eines in der Ferne vorüberjagenden Eisen— 
bahnzuges. Aus den Mauern zur Seite und auf den Treppen— 
wangen sprossen die Halme und Stauden von Unkraut, und längst 
hat die Zeit an den einst glatt geschornen Wänden der Weißbuchen— 
hecken die Kunst des Gärtners mit dem Zopfe verdrängt und der 
Natur wieder zu ihrem Rechte verholfen. Die Sonne des Nach- 
mittags aber leuchtet an wolkenlosen Tagen so schön wie ehedem 
vor den Ausgängen der schattigen Alleen und durch das grüne Ge- 
zweig der Bosketts dieser Garteninsel im weiten baumlosen Gefilde. 
Der kleine Park stimmt im Herbste, wo ich ihn sah, durch 
seinen Verfall ein wenig schwermütig, auch wenn man die Kreuze 
der beiden Gräber nicht sieht, die er enthält, und in denen ein jung 
verstorbner Bruder und ein Vetter des Fürsten gebettet liegen. Auch 
der Obst= und Gemüsegarten ist wohl nicht mehr, was er früher 
gewesen sein wird. Die Beete, auf denen ehedem Blumen blühten 
und Kräuter für die Küche standen, sind gegenwärtig meist mit Luzerne 
bedeckt. Der Miniaturweiher in der Mitte, der eine Insel mit einer 
vom Fürsten gepflanzten Birke umgiebt, ist fast ohne Wasser. Das 
Gewächshaus dient als Stall, worin fremdländische Hühner gezüchtet 
werden. Die Reben, die an der hohen Umfassungsmauer in Menge 
wachsen, hatten in diesem Jahre ihre Beeren nicht zur Reife ge- 
bracht, und ihre edeln Trauben hingen ungenießbar zwischen den 
vergilbten Blättern und Ranken. Einer schön gewachsenen Linde an 
der Nordseite der Mauer drohte der Untergang. Die Telegraphen- 
verwaltung hatte — wohl aus Pietät gegen den Kanzler — den 
Wipfel des Baumes mit ihrer Leitung umgangen. Jetzt aber wurde
	        
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