Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

518 Fünfundzwanzigstes Kapitel Friedrichsruh 
Staaten, selbst mit Mecklenburg, eine Monstruosität. Es repräsentierte 
den Rechtszustand Deutschlands im siebzehnten Säkulum in Ver- 
steinerung und hätte, wenn es angegangen wäre, einen Platz unter 
den Raritäten des Germanischen Museums finden sollen. Niemand 
hatte jemals daran gedacht, mit dem feudalen Schlendrian aufzu- 
räumen, der sich wie in einer ungeheuern Rumpelkammer in allen 
Verhältnissen aufgehäuft hatte. 
Wohin man auch die Augen wandte, überall in den Institutionen 
des Herzogtums das reine Mittelalter ungeschmälert und ungemildert 
unter der Sonne des neunzehnten Jahrhunderts, allenthalben die 
Ausbeutung der Mehrheit durch eine kleine bevorrechtete Minder- 
heit. Lauenburg war das Pompeji der deutschen Verfassungs- 
geschichte, es war, was ungefähr auf dasselbe hinausläuft, das 
Paradies des Junkertums. Die ehemaligen Souveräne in Kopen- 
hagen hatten einer nach dem andern bei ihrem Regierungsantritt 
die ungeheuerlichen Privilegien des Adels, die auf einem gewissen 
Pergament, genannt der „Rezeß"“ aneinandergesetzt waren, unbesehen 
bestätigt. Der Deutsche Bund, der das Ländchen im Dezember 1863 
okkupierte, und die preußisch-österreichischen Kommissarien, die es 
später verwalteten, hatten bei der Kürze der Zeit ihrer Administration 
und bei den schwierigen Verhältnissen, die es ungewiß ließen, wer 
hier schließlich zu gebieten haben würde, nichts für Abstellung der 
Mißstände zu thun vermocht. Die Tagesordnung war infolgedessen 
bis zur schließlichen Besitzuahme des Herzogtums durch Preußen, 
abgesehen von vielen andern Greueln, z. B. dem vollständigen Mangel 
an einer kodifizierten Gesetzgebung und der allgemeinen Geltung des 
gemeinen Rechts, die Ausnützung der zahlreichen überreichlich 
dotierten Beamtenstellen durch einige „schöne Familien,“ selbstver- 
ständlich meist adliche, die auch die ausgedehnten Domänen, natürlich 
immer tief unter dem Werte des Ertrags, untereinander zu ver- 
pachten pflegten und sich dabei viel vom Fette des Landes einver- 
leibten. 
Nun ging am 25. September 1865 König Wilhelm hinüber, 
um in Ratzeburg, der Hauptstadt des Herzogtums, die Huldigung 
und den Treuschwur seiner neuen Unterthanen entgegenzunehmen. 
An der Grenze des Landes, in Büchen empfing ihn eine Deputation 
der Stände mit einer Anrede, in der es unter anderm hieß: „Wir
	        
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