Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

Mai—Okt. 1879 Sechsundzwanzigstes Kapitel 559 
ich mir erst die nötigen Notizen sammeln und Kollektaneen anlegen, 
und das würde mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Der Dicke 
hat darauf dem Chef wahrscheinlich einfach geschrieben, ich hätte 
abgelehnt. Nun wollte ich Sie bitten, wenn der Fürst Sie wieder 
einmal rufen läßt, gelegentlich anzudeuten, daß Sie sich das Ma- 
terial zu dem letzten Artikel teilweise von mir hätten geben lassen, 
und daß ich Ihnen auch sonst bisweilen behilflich gewesen bin." 
Ich versprach das. Der Aufsatz aber, den der Chef bestellt hatte, 
erschien unter dem Titel: „Zur Charakteristik der Minorität 
in der Frage der Zollreform“ in Nr. 22 der Grenzboten und 
gab in seiner ersten Hälfte eine Zeichnung der Abgeordneten, die am 
16. Mai im Reichstage bei der Abstimmung über die Position Eisen 
und Eisenwaren gegen die Regierung votiert hatten, nach ihrer 
Lebensstellung. Das Ergebnis dieses Überblicks wurde von dem 
Artikel in folgende Sätze zusammengefaßt: 
„Mit einem Juristen begann unfre Liste, mit einem Juristen 
endigte sie, Juristen bilden in ihr nahezu die Mehrheit; nicht weniger 
als siebzehn von den Herren auf ihr waren oder sind Advokaten. 
Die Majorität der übrigen besteht aus Publizisten, Professoren, 
Rentiers und Pensionären. Nur ganz selten stoßen wir bei ihr 
auf einen Fabrikanten, einen aktiven Kaufmann, einen kleinen Land- 
wirt, überhaupt auf jemand, der auf dem Boden der realen Ver- 
hältnisse steht und lebt, der die Fragen, um die es sich handelt, 
aus eigner Erfahrung kennt und zu beurteilen vermag.Diie 
Schlüsse, die wir daraus ziehen, ergeben sich von selbst. Die Liste 
charakterisiert die freihändlerische Opposition als Leute, die, wie der 
Abgeordnete Berger sagte, in der Theorie unübertrefflich sind, auf 
dem Gebiete der Wirklichkeit, der Praxis aber ohne Unterlaß in 
Fehler und Irrtümer verfallen."“ 
In den nächsten Monaten war ich, fast immer von Bucher 
beraten, zuweilen auch von ihm angeregt, in den Grenzboten weiter 
für die Zwecke des Chefs und gegen seine freihändlerischen und 
fortschrittlichen Widersacher thätig, und diese hatten von uns manche 
recht bittre Wahrheit zu hören. 
Erst am 6. Oktober sah ich den Fürsten wieder, nachdem ich 
tags vorher durch einen Brief Sachsses zu ihm eingeladen worden 
war. Als ich ins Vorzimmer kam, war Philippsborn beim Chef.
	        
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