Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

6. Okt. 1879 Sechsundzwanzigstes Kapitel 563 
„Auch das — versetzte er —, und so hört er nicht auf das, 
was man ihm vorträgt, auch wenn es sehr einfach ist, und geht auf 
keine Maßregel ein, die ihm vorgeschlagen wird. Er und sein Bruder 
und die Prinzessin Alexandrine sind das russische Rütli. Davon 
aber dürfen Sie nichts in der Presse sagen — wenigstens jetzt 
nicht. — Und von der Absicht eines Bündnisses zur Erhaltung des 
Friedens auch nicht; denn das ist noch im Werden. Aber über die 
Verhältnisse im Auswärtigen Amte können Sie reden. Wie man 
in seinen Gedanken und Entschlüssen bestimmt wird durch Rücksichten 
auf das politische Bedürfnis des Reiches, auf seine Verantwortlich- 
keit vor dem Reichstage und auf die Auffassung der Sachlage von 
seiten des Souveräns, und wie daraus Friktionen entstehen, die 
manchen aufreiben und allen an der Gesundheit schaden. Weisen 
Sie auf Brandenburg hin, an den man durch die jetzige Situation 
erinnert wird. Bülow ist dadurch zu Grunde gerichtet worden. 
Die Arzte sagen, der Schmerz, den er an der Hüfte hat, deute auf 
ein Rückenmarksleiden, das gefährlich sei. Er soll jetzt von Potsdam 
nach Berlin gebracht werden, aber ich will hernach hinaus zu ihm 
mit meiner Frau. Wer weiß, ob ich ihn, wenn er dann nach Italien 
geht, wiedersehe. Ich soll nicht länger als eine Viertelstunde bei 
ihm bleiben, weil mehr ihn zu sehr angreift. Ich verliere ihn höchst 
ungern.“ 
Ich sagte: „Er ist mir als eine bedeutende Arbeitskraft ge- 
schildert worden." 
„Ja — erwiderte er —, und geschickt, gescheit und treu, nicht 
wie Thile, der bei der Kaiserin den Postenträger machte, und den 
sie lange gehalten hat, als ich ihn wegen seiner Unfähigkeit los 
sein wollte. Ich lernte ihn (er meinte jetzt Bülow) schon in Frank- 
furt kennen und schätzen, als er noch dänischer Bundestagsgesandter 
war, und dann erwies er sich auch, wie er mecklenburgischer Minister 
geworden war, als Mitglied des Bundesrats sehr tüchtig, sodaß ich 
ihn haben mußte.“ 
Er kam dann noch einmal auf das Bündnis mit Osterreich zu 
sprechen, wiederholte das oben darüber Mitgeteilte mit andern Worten 
und sagte u. a., in Deutschland wären außer dem Kaiser und den 
andern beiden Herrschaften nur etwa noch die ostpreußischen Ge- 
treidehändler für Rußland. Auf meine Frage, wie sich der Kaiser 
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