Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

15. Januar Siebzehntes Kapitel 47 
die gegenwärtigen neugeschaffnen Bundesverhältnisse nicht alteriert 
werden.“ — Oberregierungsrat Wagener hat die Antworten auf 
diese Zustimmungsschreiben verfaßt, desgleichen die demnächst zu ver- 
öffentlichende Proklamation wegen Kaiser und Reich an das deutsche 
Volk. Er macht, wie ich höre, zuweilen die Thronreden, indem 
er einen gewissen schwungvollen Ton hätte, der dem Chef gefiele. — 
Einen eigenhändigen Brief des Königs Wilhelm an den Kanzler 
gelesen. Inhalt: Am 10. Januar hat Prinz Luitpold sich bei 
unfrer Majestät eine Audienz erbeten, die ihm vor dem Diner ge- 
währt worden ist, und bei der er sich eines Auftrags seines Königs 
entledigt hat, dahingehend, die bayrische Armee möge des in allen 
Verträgen mit den deutschen Staaten vorgeschriebnen Passus im 
Fahneneide, wo dem Bundesfeldherrn Gehorsam gelobt wird, ent- 
bunden, und die Verpflichtung zu diesem Gehorsam möge im Ver- 
trage mit Bayern gestrichen werden. Motiviert hat der Prinz dies 
damit, daß er bemerkt, der Passus beschränke die Souveränität 
des Königs von Bayern, den Süddeutschen sei in dem jetzigen 
Kriege eine solche Verpflichtung nicht auferlegt, und Gehorsam und 
Treue verstünden sich für die bayrische Armee bei der künftigen 
Einheit Deutschlands von selbst. Beiläufig hat er noch geäußert, 
daß die Verstimmung in Bayern deshalb so groß sei, weil man 
Alternierung der Kaiserwürde zwischen Bayern und Preußen gehofft 
habe. Der König hat erwidert, bei diesem überraschenden Ver- 
langen könne er nicht sofort antworten, er müsse sich erst die Ver- 
träge ansehen. Vorläufig könne er nur sagen, daß die Gewährung 
desselben in betreff des Fahneneides die andern Fürsten verletzen 
würde, und daß sie dann Gleiches verlangen könnten, was den 
Kitt des neuen Deutschland lockern würde. Besonders aber müsse 
es dem König von Bayern selbst schaden, da die Zugeständnisse an 
Bayern von der öffentlichen Meinung ohnehin übel aufgenommen 
worden seien. Über die Alternierung der Kaiserwürde habe er sich, 
schreibt König Wilhelm, gar nicht geäußert. — Der Chef hat an 
Werthern telegraphieren lassen, daß man auf Verlangen wegen des 
Passus im Fahneneide diesseits nicht eingehen könne. 
Der Chef speist heute beim König. Unter uns wird bei Tische 
nichts der Aufzeichnung Wertes gesprochen. Nach dem Essen wieder 
Aus= und Eingänge studiert. Darunter ist ein Brief des Königs
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.