Full text: Tagebuchblätter. Zweiter Band. (2)

10. Januar Siebzehntes Kapitel 63 
19. Januar, Donnerstag. Trübes Wetter. Die Post bleibt 
aus, und auf Nachfrage erfährt man, daß bei Vitry la Ville, einem 
in der Nähe von Chalons gelegnen Orte, die Eisenbahn zerstört 
worden ist. Von zehn Uhr vormittags an hören wir wieder eine 
ziemlich stramme Kanonade, in die sich zuletzt auch Feldgeschütze 
mischen. Ich mache zwei Artikel über den sentimentalen Bericht 
des Journal des Debats, wonach sich unsre Granaten nur Ambu— 
lanzen, Mütter mit Töchtern, kranke Damen und Wiegen mit 
Wickelkindern zum Zielpunkt genommen hätten — die grausamen 
Granaten! 
Das heutige Schießen rührt, wie Keudell beim Frühstück er— 
zählt, von einem neuen großen Ausfalle her, den die Pariser mit 
vierundzwanzig Bataillonen und zahlreichen Kanonen auf unsre 
Stellungen zwischen La Celle und Saint Cloud unternommen haben. 
Gegen zwei Uhr, wo man deutlich das Geknarr und Gerassel 
von Mitrailleusen vernimmt, die französischen Geschütze also in der 
Luftlinie höchstens noch eine halbe Meile von Versailles entfernt 
sind, setzt sich der Chef zu Pferde, um nach dem Aquädukt von 
Marly zu reiten, wohin sich auch der König und der Kronprinz 
begeben haben sollen. Ich fahre mit Wollmann ebenfalls dahin. 
Auf dem Wege begegnet uns in Roquencourt ein zurückkehrender 
Musketier, der auf unfre Frage nach dem Gange der Dinge wissen 
will, es stünde schlecht für uns, der Feind wäre schon im Walde 
auf den Hügeln hinter La Celle. Wir können das nicht glauben, 
weil in diesem Falle hier mehr Leben sei, und wir das Schießen 
hier deutlicher hören würden. Ein Stück weiter begegnet uns der 
Kronprinz, der nach Versailles zurückkehrt. Es muß also keine 
Gefahr mehr sein. Auf der Höhe von Marly an der schnurgeraden 
Chaussee, die hier nach Norden führt, läßt man uns nicht weiter. 
Wir warten eine Weile bei schneidendem Winde und unter einer 
Wolke, die ein dichtes Gestöber von Schneeflocken entsendet, unter 
den hier aufgestellten langbärtigen Enakskindern der Gardelandwehr. 
Der König und der Kanzler sollen sich auf dem Aquädukt befinden. 
Als die Wolke vorübergezogen ist, sehen wir deutlich den Mont 
Valérien drei Schüsse nacheinander abgeben und die Schanze unter 
seinen Wällen achtmal feuern. Auch in unsern Batterien im Westen 
jenseits der Seine blitzt es dann und wann auf, und in einem der
	        
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