Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

88 Die Organisation des Staates. Die Staatsbehörden. 8 37 
  
für die Verwaltung grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Dabei ist aber sofort die ein- 
schränkende Bemerkung notwendig, daß in Abweichung von diesem Grundsatze gleichwohl 
„gewisse Streitsachen, welche sich nach der Natur des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses 
als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten oder nach dem Tatbestand als Strafsachen charakterisieren, 
dennoch der Entscheidung durch die Gerichte entzogen und Verwaltungsbehörden oder Ver- 
waltungsgerichten überwiesen sein“ können 1). Es ist dies eine Tatsache, welche die Heran- 
ziehung der beiden Begriffe der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und der Strafsachen für die 
gesuchte Definition um so mehr entwertet, als diese letztere ihrerseits ihr Bestehen nicht etwa 
einem wissenschaftlichen Prinzip, sondern lediglich Zweckmäßigkeitserwägungen verdankt. 
Solchen Zweckmäßigkeitserwägungen Folge zu geben, hat das Reich den Einzelstaaten im 
weitesten Maße gestattet. Abgesehen von den durch Gesetz genau bezeichneten Fällen, über 
welche das Reich entweder durch Zulassung des Rechtswegs oder durch Überweisung an 
Verwaltungsbehörden, Verwaltungsgerichte usw. selbst ausdrücklich verfügt hat, blieb es in 
der Hauptsache den Einzelstaaten überlassen, über die Zulässigkeit des Rechtswegs 
Bestimmungen zu treffen und damit die Linie zu ziehen, welche die ordentliche streitige 
Gerichtsbarkeit von anderen staatlichen Funktionen, insbesondere von der Verwaltung 
abgrenzt 2). In dieser Befugnis der Einzelstaaten ist naturgemäß gleichzeitig auch das Recht 
enthalten,innerhalb des Begriffes der Verwaltung weitere Unterscheidungen zu treffen, 
namentlich also bestimmte Angelegenheiten mit Rücksicht auf irgendwelche sich daran knüpfende 
besondere staatliche Interessen als „Verwaltungsrechtssachen“ oder „Ver- 
waltungsstreitsachen“ aus dem Kreise der gewöhnlichen Verwaltungssachen heraus- 
zuheben. Dies geschieht in der Regel dadurch, daß der Staat für die in Frage stehenden 
Angelegenheiten besonders eingerichtete Verwaltungsgerichte schafft, deren Mit- 
glieder mit den Garantien richterlicher Unabhängigkeit ausgestattet sind und deren Verfahren 
im Gegensatz zu dem normalen „Verwaltungswege“ eine, die unbeeinflußte Verwirklichung 
des objektiven Rechts gewährleistende Urteilsfindung ermöglicht 3). 
2. Aus den vorstehenden Ausführungen geht hervor, daß im positiven Recht weder die 
Abgrenzung der Verwaltung von der Justiz noch die Abgrenzung der reinen Verwaltungs- 
sachen von den Angelegenheiten der Verwaltungsrechtspflege auf bestimmte, den genannten. 
Gruppen immanente Wesensmerkmale zurückzuführen ist. Die Abgrenzung ist in den ver- 
schiedenen Staaten und zu den verschiedenen Zeiten eine verschiedene und bleibt auch da, 
wo Anläufe zu einer Systematisierung gemacht wurden, im wesentlichen eine willkürliche "0. 
Für Hessen ist hierüber — vorerst in geschichtlicher Beziehung — Folgendes zu bemerken: 
Was zunächst die Abgrenzung der Verwaltung von der Justiz anlangt, so wurde diese 
schon durch das Organisationsedikt vom 14. Juli 1821 (RBl. S. 403) praktisch eingerichtet 
und organisch durchgeführt. Die ersten Anfänge dieser Trennung liegen indessen erheblich 
weiter zurück 5). Ebenso ist auch die Unterscheidung zwischen einfachen Verwaltungs- 
sachen und,streitigen" Verwaltungssachen in Hessen schon sehr frühzeitig erfolgt; 
sie findet ihre Grundlage nicht erst in der Zuständigkeitsabgrenzung für den durch das Or- 
ganisationsedikt von 1832 geschaffenen Administrativjustizhof "), sondern sie gelangt auch schon 
1) Siehe Laband, RStR., kl. A., S. 314. — Bezüglich des Verhältnisses des bürger- 
lichen Rechts zum HPentiihen Recht s. auch Molitor, Das elsaß-lothr. AG. z. BGB., 2. 
1912 S. XXVI— 
2) Siehe ###n S. 314. 
3) Siehe Laband S. 318 und E. v. M i ier, Das Verwoaltungerecht, in v. Holtzendorff- 
Kohlers Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, B. II, Berlin 1904, S. 734. 
4) Vgl. E. Löning, Die franz. Verwaltungsgerichtsbarkeit, i. Zeitschrift f. Gesetzgebun . 
und Praxis a. d. Gebiete des deutschen öffentl. Rechts, hrsg. v. Hartmann B. V S. 337 ff. u 
bes. B. VI S. 12 (Berl. 1879 und 1880). 
5) Bgl. hierüber und insbesondere über die im Jahre 1815 erfolgte Teilung von Justiz und 
Verwaltung in Ansehung des Amtes Darmstadt Eigenbrodt, Hdb., B. I S 109 ff. und 
S. 332 ff., bes. S. 335 ff., ferner Eigenbrodt, Das Verhältnis der Gerichte #r Verwaltung 
im Großd= Hessen, Darmstadt 1840, und van Calke za, i. Jahrb. d. öff. R. 125 ff. 
6) Siehe hierüber Beck, Die Organisation der Administrativjustiz im #e Hessen, 
Archiv der politischen konomie usso. hrsg. von K. H. PRau, B. V S. 23—51, Heidelberg 1843.
	        
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