Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

90 Die Organisation des Staates. Die Staatsbehörden. g 38 
  
waltungsstreitsachen“ (im weiteren Sinne) sind demnach zufolge Art. 1 VRG. „alle Streitig- 
keiten, die nach Vorschrift dieses Gesetzes oder anderer Gesetze im Verwaltungsstreitverfahren 
zu erledigen sind“. 
Die „Verwaltungsstreitsachen im weiteren Sinne“ zerfallen 1) wiederum in zwei Gruppen 
von Angelegenheiten, nämlich in die „Parteistreitigkeiten“ oder „Verwal- 
tungsstreitsachen im engeren Sinne“ und in die „strittigen Ver- 
waltungssachen“ 2). Der Unterschied besteht in Folgendem: :) „In ersteren stehen 
sich, wie im Zivilprozeß, zwei individuell berechtigte Subjekte, seien es nun Privatpersonen 
oder öffentlichrechtliche Körperschaften, gegenüber und streiten über ihre gegenseitigen An- 
sprüche". In letzterem dagegen „hat es die einzelne Person oder Körperschaft unmittelbar 
mit der Behörde zu tun“. „Der Streit dreht sich (sc. bei den streitigen Verwaltungssachen. 
Der Verf.) darum, ob sich die Behörde oder das zur Entschließung berufene Organ der Selbst- 
verwaltung bei ihrem Vorgehen in den Schranken des Gesetzes gehalten, ob sie mit Recht 
dem einzelnen eine Beschränkung auferlegt, ein ihm zustehendes Recht entzogen, von ihm 
eine Handlung oder Leistung verlangt oder ihm die Anerkennung eines Rechts, einer recht- 
lichen Eigenschaft oder die Vornahme einer Amtshandlung versagt haben“. 
Der innere Unterschied zwischen „Parteistreitigkeiten“ und „strittigen Verwaltungs- 
sachen“ spielt in bezug auf das Verfahren keine ausschlaggebende Rolle. Die beiden Gruppen 
zusammengenommen bilden den Gesamtkomplex der der Verwaltungsrechtspflege zugewiesenen 
Gegenstände. Die innerhalb des Gesamtgebietes der Verwaltungsgerichtsbarkeit noch be- 
stehenden Verschiedenheiten des Verfahrens — insbesondere in bezug auf Rechtsmittel und 
Instanzenzug — beruhen weder auf grundsätzlichen Unterschieden, noch begründen sie solche. 
§ 38. Die Organisation der Verwaltungsgerichte. Den oben entwickelten allgemeinen 
Grundsätzen entsprechend gehören nach dem Verwaltungsrechtspflegegesetz von 1911 vor die 
Verwaltungsgerichte „alle Streitigkeiten, die nach Vorschrift dieses 
Gesetzes oder anderer Gesetze im Verwaltungsstreitverfahren 
zu erledigen sind“, das sind also sämtliche „Verwaltungsstreitsachen“ 
in dem oben (§ 37) erörterten weiteren Sinne einschließlich der durch Reichsrecht (z. B. RO. 
I#s 19sf.) vor die Verwaltungsgerichte verwiesenen Angelegenheiten (Verwaltungsbeschlußsachen). 
Verwaltungsgerichte sind: 1. die Kreisausschüsse; 2. die Provinzialausschüsse; 
3. der Verwaltungsgerichtshof mit dem Sitze in Darmstadt. Während sich die Zusammen- 
setzung der beiden erstgenannten Kategorien von Verwaltungsgerichten nach der Kreis= und 
Provinzialordnung bestimmt )), ist über den Verwaltungsgerichtshof in dem V#R. selbst 
nähere Bestimmung getroffen (Art. 2—11). 
Der Verwaltungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten und der er- 
forderlichen Zahl von Mitgliedern. Der Präsident wird im Hauptamte, die Mitglieder werden 
zum Teil im Hauptamte, zum Teil im Nebenamte ernannt, und zwar der erstere und die 
übrigen hauptamtlichen Mitglieder auf Lebenszeit, die nebenamtlichen Mitglieder für die 
Dauer der Befleidung ihres Hauptamtes oder in Ermangelung eines solchen ebenfalls auf 
Lebenszeit. Die Ernennung zum Präsidenten und zum hauptamtlichen Mitglied setzt die 
Erlangung der Fähigkeit zum Richteramt oder zur Anstellung im höheren Verwaltungedienst 
voraus; die Ernennung zum nebenamtlichen Mitglied ist an die gleichen Voraussetzungen 
oder an die Bekleidung des Amtes eines Professors der juristischen Fakultät oder der staats- 
1) Der Entwurf 1906 (S. 41). 1910 (S. 45) bezeichnet die letzteren lediglich als „Ver- 
waltungssachen“, das Gesetz selbst trägt dem Unterschiede keine ausdrückliche Rechnung. Da es 
sich auch bei den „Verwaltungssachen“, wie aus dem Folgenden hervorgeht, stets um bestrittene 
— sei nun der Staat oder ein einzelner bezw. eine Gemeinde der Bestreitende — Rechtsansprüche 
oder Verbindlichkeiten handelt, so rechtfertigt sich hier m. E. der Zusatz „bestritten"“. Hierdurch 
wird auch die naheliegende Möglichkeit der Verwechselung von „Verwaltungssachen“ und „Be- 
schlußsachen“ etwas eingeschränkt. 
2) Ich folge hierbei der klaren, auch für das geltende Recht zutreffenden Darstellung der 
Nobioe zu dem Entwurfe von 1906 S. 41: Entwurf 1910 S. 45. Vgl. auch Best, VMR., 
3) Siehe hierüber oben 8 36.
	        
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