118 Die Organisation des Staates. Die Selbstverwaltungskörper. g 51
keit zu der Gemeinde X bedeutet im juristischen Sinne das in der oder der Weise näher
bestimmte Verhältnis eines Individuums gegenüber einer bestimmten einzelnen Gemeinde.“
Die Ausdrücke Geburtsgemeinde, Einwohnergemeinde, Unterstützungswohnsitzgemeinde, Bürger-
gemeinde, Ortsbürgergemeinde, politische Gemeinde usw. weisen auf ebenso viele Unter-
schiede in bezug auf die Bedeutung des Ausdruckes Gemeindezugehörigkeit hin. Um so
dankenswerter ist, daß die beiden hessischen Gemeindeordnungen von 1911 nunmehr wenigstens
für den amtlichen Sprachgebrauch eine zweifelsfreie Definition des Begriffes „Gemeinde-
angehöriger“ gegeben haben.
„Angehörige der Gemeinde “ sind hiernach „die Einwohner der Orts-
gemarkung“ (LG. Art. 16) oder — wie die St O. es in Art. 16 spezieller formuliert —,
„Angehörige der Stadtgemeinde sind die Einwohner der Stadtgemarkung“, und zwar „mit
Einschluß der Ortsbürger'“. Dieser letztere Zusatz findet sich zwar nicht in jenen
beiden Gesetzen selbst, sondern nur in den Motiven 1), kann aber unbedenklich als geltendes
Recht angesehen werden, da die Sonderbestimmungen über „Die Ortsbürger“ in beiden
Gemeindeordnungen einen Unterabschnitt des die Uberschrift „Die Angehörigen der Stadt-
gemeinde" (bzw. der „Gemeinde") tragenden vierten Titels bilden, so daß kein Zweifel über
die Subsumtion der Ortsbürger unter den gesetzlichen Begriff der Gemeindeangehörigen
bestehen kann 2).
II. Die Rechte der Gemeindeangehörigen sind teils wirtschaftlicher, teils politischer
Natur:
1. Das Recht zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und Anstalten der Ge-
meinde nach Maßgabe der hierüber jeweilig getroffenen Bestimmungen (namentlich der
einschlägigen Lokalstatuten und der darauf beruhenden Anordnungen für den Einzelfall) und
der Vorschriften der §§ 28, 30 des Reichsunterstützungswohnsitzgesetzes 3) (St O., LGO. Art. 17).
2. Der Anspruch auf Teilnahme an dem Ertrag oder den Nutzungen des Gemeinde-
vermögens nach Maßgabe der näheren Bestimmungen der beiden Gemeindeordnungen über
den Ortsbürgernutzen.
3. Das Recht zur Teilnahme an der Wahl der gemeindlichen Verfassungsorgane vor-
behaltlich des Vorhandenseins der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen der Wahlberechtigung
(St O., LG#. Art. 38).
III. Die Pflichten der Gemeindeangehörigen sind folgende:
1. Teilnahme an den gemeindlichen Lasten vorbehaltlich des Vorhandenseins besonderer
gesetzlicher Befreiungsgründe (St O., LG. Art. 17).
2. Pflicht zur Ubernahme und entsprechender Verwaltung unbesoldeter Gemeindeämter,
nämlich der Stellen eines Stadtverordneten, eines unbesoldeten Beigeordneten, eines un-
besoldeten Magistratsmitglieds, und eines Mitgliedes von Ausschüssen, Deputationen oder
Kommissionen, sowie eines Vorstands= oder Kommissionsmitgliedes bei öffentlichen Wahlen
(St O., LG#O. Art. 18), vorbehaltlich des Vorhandenseins eines der folgenden Entschuldigungs-
gründe: a) anhaltende Krankheit; b) Geschäfte, die eine häufige oder langandauernde Ab-
wesenheit mit sich bringen; c) ein Alter von über sechzig Jahren; ch die frühere Ver-
waltung einer unbesoldeten Stelle 4); e) die Verwaltung eines anderen öffentlichen Amtes
oder eines parlamentarischen Mandats; f) sonstige nach dem Ermessen der Gemeinde-
vertretung eine Entschuldigung begründende Verhältnisse (St O., LG. 19).
1) Siehe Best zu Art. 16 StO.
2) Dadurch, daß die beiden neuen Gemeindeordnungen die Ortsbürger zu den „Einwohnern
der Gemarkung“ im Sinne des Art. 16 rechnen, ist ausgesprochen, daß sich nur Gemeinde-
einwohner im Besitze des Ortsbürgerrechts befinden können. Hiermit ist also der in einer Ent-
scheidung des Großh. Ministeriums des Innern und der Justiz, Nr. 16980, vom 27. VI. 1892
vertretene, von Waldecker S. 74 f. mit Recht als bedenklich bezeichnete Standpunkt, man.
könne gleichzeitig an zwei Orten das Ortsbürgerrecht besitzen, der Wohnsitz sei also keine Voraus-
setzung des Ortsbürgerrechts, aufgegeben.
3) Siehe hierüber unten § 88.
4) Dieser Grund wirkt nur für die nächsten drei Jahre.