g 52 Die Sonderrechte der Ortsbürger. 119
Die unentschuldigte Verweigerung der Ubernahme oder Versehung einer der vorbezeich-
neten Stellen kann durch Beschluß der Gemeindevertretung mit drei= bis sechsjähriger Ent-
ziehung der Befugnis zur Ausübung des Stimm-= und Ortsbürgerrechts und mit der Ver-
hängung einer nach den Vermögensverhältnissen zu bemessenden Ordnungsstrafe bis zu
500 Mk. zugunsten der Gemeindekasse geahndet werden. Dem Betroffenen steht hiergegen
die Klage im Verwaltungsstreitverfahren an den Provinzialausschuß zu, der hierüber end-
gültig entscheidet (St O., LG#. 20, 54) 1). «
3. Die Pflicht zu persönlichen Leistungen im Interesse der Gemeinde, insoweit ein
Zwang zu derartigen Leistungen durch Gesetz statuiert oder doch zugelassen ist (StO., LG.
Art. 22) (so z. B. Sicherheitswachdienst, Bewachung von Dammbauten, Feuerlöschdienst,
Vertilgung schädlicher Vögel)?).
s52. Die Sonderrechte der Ortsbürger. I. Einleitung. Der Begriff der
Ortsbürger deckte sich ursprünglich schlechthin mit dem Begriffe der Gemeindebürger; im Laufe
der Zeit trat jedoch eine Verengerung des Begriffes ein, indem sich die Ortsbürger innerhalb
des durch die Aufnahme von Beisassen und anderen Personen minderen Rechts erweiterten
Kreises der Gemeinde zu einem engeren Kreis bevorrechteter „Bürger“ oder „Gemeinds-
leute“ zusammenschlossen. Die Vorrechte der Ortsbürger lagen der geschichtlichen Entwicklung
gemäß teils auf wirtschaftlichem, teils auf politischem Gebiet. Sie äußerten sich nach der
Gemeindeordnung von 1821 namentlich in dem Anspruch auf ungeschmälerte Anteilnahme
an der Benutzung oder dem Ertrage der Gemeindegüter und in dem ausschließlichen Recht
auf Vornahme der Gemeindewahlen 3). Die spätere Gesetzgebung brachte hierin mancherlei
mittelbare und unmittelbare ÄAnderungen; indessen blieb den Ortsbürgern auch nach den beiden
Gemeindeordnungen von 1874 neben der Teilnahme am gemeinen Nutzen noch ein bevor-
zugtes Gemeindewahlrecht ). Bei der im Jahre 1911 abgeschlossenen Revision der 1874er
Gesetzgebung wurde mehrfach die Frage erörtert, ob die Beibehaltung eines besonderen Orts-
bürgerrechts überhaupt noch angebracht sei. Die Gründe, die gegen die Beibehaltung sprachen,
waren namentlich die Rücksicht auf die aus der Einrichtung des Ortsbürgerrechts sich ergebenden
tatsächlichen Beschränkungen der Freizügigkeit und die häufig recht empfindliche Belastung
der Gemeinden zum Nachteil der nicht im Besitze des Ortsbürgerrechts befindlichen Gemeinde-
einwohner. Andererseits hielt man es doch nicht für angängig, die wohlerworbenen Rechte
der Ortsbürger kurzerhand zu beseitigen. So begnügte man sich denn mit einigen immerhin
nicht unwesentlichen Verbesserungen des bisherigen Rechtszustands, indem man das vorerwähnte
Wahlrechtsprivileg der Ortsbürger aufhob, den Ortsbürgernutzen für ablösbar erklärte und
den bisherigen Grundsatz abschaffte, wonach den Kindern der Staatsbeamten, Geistlichen,
Schullehrer und Militärpersonen usw. der Erwerb des Ortsbürgerrechts auf gleiche Weise
zustand wie den Ortsbürgersöhnen. Die Ortsbürgergemeinde hat damit ihre frühere viel-
seitige Bedeutung großenteils verloren und stellt nur noch eine wirtschaftliche Nutzungsgemeinde
dar, die natürlich nur noch da von tatsächlicher Bedeutung ist, wo noch Nutzungsrechte der
Ortsbürger aus gemeindlichem Vermögen bestehen 5).
II. Der Erwerb des Ortsbürgerrechts. Das Ortsbürgerrecht wird ent-
weder durch Geburt oder durch Aufnahme erworben (St O., LG. Art. 23): 1. Ver-
möge der Geburt ist jeder volljährige hessische Staatsangehörige männlichen Geschlechts
berechtigt, Ortsbürger an dem Ort zu werden, an welchem sein Vater das Ortsbürgerrecht
besitzt oder bei seinem Tode besaß. Diese Berechtigung kann nur von solchen nicht in Anspruch
1) Bezüglich der Vollstreckung s. StO., LGO. 20 mit VM. Art. 127.
2) Vgl. hierzu die in den Motiven angeführten Gesetze vom 21. II. 1824 (RBl. S. 30),
BO. vom 8. XII. 1825 (RBl. S. 515) und vom 25. VIII. 1828 (RBl. S. 401); Gesetz vom
29. III. 1890 (RBl. S. 46); VO. vom 7. IV. 1837 (RBl. S. 253); s. Best zu Art. 22 LGO.
88 II 1908/11, Drucks. 201 (Gesetzentwurf, die Landgemeindeordnung betr., v. 1. VI. 1909)
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3) In bezug auf Einzelheiten und Ausnahmen vgl. Waldecker S. 62f.
4) Siehe Waldecker S. 55 ff., und besonders S. 69 Anm. la.
5) Siehe Best zu StO. u. LGO. Art. 23.