8 57 Die Staatsaufsicht über die Gemeinden und Gemeindeverbände. 139
mit einer Stadtgemeinde handelt, gehen die vorerwähnten Zuständigkeiten des Kreisrats an
den Provinzialdireltor, und die des Kreisausschusses an den Provinzialausschuß über, der
alsdann im Verwaltungsstreitverfahren die erste Instanz bildet.
§57. Die Staatsaufsicht über die Gemeinden und Gemeindeverbände. I. 1. Die
Oberaufsicht des Staates über die Verwaltung der Gemeinden)
erstreckt sich heute ausschließlich auf die der Staatsaufsicht ausdrücklich unterstellten Angelegen-
heiten. Als solche werden vom Gesetz ½) die folgenden bezeichnet:
a) Die Befolgung der gesetzlichen, verordnungsmäßigen und gesetzlich zugelassenen,
nicht bloß geschäftsordnungsmäßigen, Vorschriften 3); „sowie inssondere“ die im Nachstehenden
speziell hervorgehobenen Angelegenheiten:
b) Die Einhaltung der Befugnisse der Gemeindeverwaltung und ihrer Organe;
Tc) die Erhaltung des Grundstocks des gemeindlichen Vermögens;
d) die Vermeidung einer ungerechtfertigten Belastung der Gemeinde mit Schulden;
e) die planmäßige Durchführung der Schuldentilgung.
2. Als Organe der Staatsaufsicht fungieren regelmäßig in erster Instanz der Kreisrat,
in zweiter Instanz das Ministerium des Innern).
3. Zum Zweck der Durchführung der staatlichen Oberaufsicht stehen den Aufsichtsbehörden
folgende Mittel zur Verfügung:
a) das Recht der Kenntnisnahme in bezug auf die Vermögensverhältnisse der Ge-
meinde, die Erfüllung der der Gemeinde obliegenden Pflichten und die Geschäftsführung
der Gemeindeorgane 5);
b) das Recht, die Vollzugsorgane der Gemeindeverwaltung an Ort und Stelle zur
Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten #);
e) das Recht, gewisse Beschlüsse oder Wahlen der gemeindlichen Selbstverwaltungs-
köxper und ihrer Organe zu bestätigen, mit der Maßgabe, daß die Bestätigung Voraussetzung
der Gültigkeit ist7);
d) das Recht, die Beschlüsse der Selbstverwaltungsorgane aus bestimmten Gründen
(Ungesetzlichkeit, Rechtswidrigkeit, Kompetenzüberschreitung, eventuell Verletzung öffentlicher
Interessen) durch den Bürgermeister beanstanden zu lassen, vor die Verwaltungsgerichte zu
bringen, außer Kraft zu setzen, abzuändern oder durch eigene Maßnahmen zu ersetzen.
Hierher gehören folgende Einzelfälle 5:
1) Bezüglich der geschichtlichen Entwicklung der Staatsaufsicht über die Gemeinden s. die
zit. Abhandlung von Ahl und oben §& 49; hinsichtlich der Entstehung des geltenden Rechts s. Ent-
wurf der Landgemeindeordnung vom 1. VI. 1909. L B. II 1908/11 Druckf. 201, S. 65 ff. (Art. 214
bis 222), S. 110—112 (Begründung): Ausschußbericht II. K. (Uebel und Stoepler)
Drucks. 465 S. 71—73; Ausschußbericht l. K. (Graf W. zu Solms-Laubach), LV. 1 1908/11
Beil. 110: Entwurf, die Städteordnung betr., vom 29. IV. 1909, L V. II 1908/11, Drucks. 189
S. 69 ff. (Art. 205—211), S. 147 ff. (Begründung); Ausschußbericht II. K. (Dr. Glässing)
Drucks. 587 S. 117 f.; Ausschußbericht I. K. (Or. Hangen) S. 43 f.; Best zu LGO. Art. 206 ff.;
St O. Art. 231 ff.
2) LGO. Art. 206; St O. Art. 231. — Die Bestimmungen der beiden Gemeindeordnungen
über die staatliche Oberaufsicht stimmen in den meisten Artikeln wörtlich überein. Die be-
stehenden geringfügigen Unterschiede werden im folgenden ausdrücklich hervorgehoben.
3) Hierbei ist namentlich an Ortssatzungen gedacht, deren Handhabung und Durchführung
der Staatsaufsicht unterstehen soll. — Der Ausschußbericht II. K. (s. Best zu St O. Art. 231)
betont ausdrücklich die Tendenz, jede Erweiterung der Staatsaufsicht gegenüber dem bisherigen
Rechtszustand zu vermeiden, und den Staatsbehörden nicht etwa ein allgemeines Auf-
sichtsrecht zu geben. Auch wird dort besonders hervorgehoben, daß die Aufsichtsbehörde nicht
das Recht habe, „im Wege der Anordnung eines allgemeinen Beschwerderechts über die selb-
ständigen Entscheidungen der Selbstverwaltung zu befinden.“
4) Siehe LG. Art. 207, StO. 232.
5) Siehe vorstehende Anmerkung.
6 6) Siehe vorige Anm.
7) Vgl. z. B. oben §# 53—55.
828) Der Fall ist schon oben in § 55 unter b) erwähnt, wird aber des Zusammenhangs halber
hier nochmals mit angeführt.