Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

140 Die Organisation des Staates. Die Selbstverwaltungskörper. 857 
  
) Hat die Gemeindevertretung einen Beschluß gefaßt, der ihre Befugnisse überschreitet, 
gesetz- oder ordnungswidrig ist, so hat der Kreisrat den Bürgermeister anzuweisen, die Aus- 
führung dieses Beschlusses vorläufig auszusetzen. Der Bürgermeister muß die Gemeinde- 
vertretung hiervon benachrichtigen und ihr den Gegenstand des Beschlusses zur nochmaligen 
Beratung und Beschlußfassung vorlegen. Das Ergebnis der erneuten Beschlußfassung ist dem 
Kreisrat alsbald anzuzeigen. Besteht es in gänzlichem oder teilweisem Beharren auf dem 
beanstandeten Beschluß, so findet das Verwaltungsstreitrerfahren statt, wobei die Gemeinde- 
vertretung durch den Bürgermeister vertreten wird. Erste Instanz ist, wenn es sich um eine 
Landgemeinde handelt, der Kreisausschuß, anderenfalls der Provinzialausschuß 1). 
#) Widerspricht die Gemeindevertretung oder der Eigentümer einer selbständigen Ge- 
markung einer der Gemeinde bzw. dem Gemarkungseigentümer vom Kreisrat im öffentlichen 
Interesse angesonnenen Ausgabe, so ist im Verwaltungsstreitverfahren darüber zu ent- 
scheiden, ob und in welcher Höhe die Ausgabe gemacht werden soll. Bezüglich der Zuständig- 
keit gilt das gleiche wie unter a). Steht die Notwendigkeit der Ausgabe gesetzlich fest, so erstreckt 
sich die Entscheidung nur auf die Höhe der Ausgabe. Das Verwaltungsstreitverfahren ist 
jedoch ausgeschlossen, wenn nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch der Umfang der Ausgabe 
bereits gesetzlich feststehen oder wenn die Entscheidung hierüber ausdrücklich an andere Be- 
hörden übertragen ist. Es haben alsdann die nachstehenden, unter y) angeführten Vorschriften. 
Anwendung zu finden ?). 
7) Weigert sich die Gemeindevertretung, in ihren Voranschlag Ausgaben aufzunehmen, 
die nach Notwendigkeit und Umfang gesetzlich feststehen oder von der Gemeinde zufolge rechts- 
kräftiger Entscheidungen des Kreistags, des Provinzialtags, der bürgerlichen Gerichte, der 
Verwaltungsgerichte oder anderer Behörden geleistet werden müssen, so kann der Kreisrat 
gegen den Willen der Gemeindevertretung die nachträgliche Einstellung dieser Ausgaben in 
den Voranschlag ?), die entsprechende Erhöhung der Umlagen und im Falle eines dringenden 
öffentlichen Interesses die einstweilige Vornahme des Erforderlichen auf Gemeindekosten 
verfügen. 
Der einschlägige, mit Gründen zu versehende Beschluß des Kreisrats kann binnen einer 
Notfrist von zwei Wochen von der Zustellung des Beschlusses ab vom Bürgermeister im Auf- 
trage der Gemeindevertretung mit Klage im Verwaltungsstreitverfahren angefochten werden. 
Zur Entscheidung ist der Provinzialausschuß in erster und einziger Instanz zuständig 4). — 
Entsprechende Grundsätze gelten auch für die Eigentümer selbständiger Gemarkungen 5). 
0) Weigert sich eine Gemeindevertretung, Beschlüsse zu fassen oder Handlungen vor- 
zunehmen, die nötig sind, um den mit einer rechtskräftig angesonnenen oder etatisierten 
Ausgabe beabsichtigten Zweck zu erreichen, so hat der Kreisrat an Stelle der Gemeindevertretung 
das Erforderliche beschlußmäßig anzuordnen und den Bürgermeister mit dem Vollzug zu 
beauftragen. Der Bürgermeister hat diesem Auftrag vorbehaltlich der Erhebung der ver- 
waltungsgerichtlichen Klage (nach den unter c) erörterten Grundsätzen) zu entsprechen 9). 
6) Weigert sich die Vertretung einer Landgemeinde, über die Ernennung eines Ge- 
meindebeamten Beschluß zu fassen, dessen Gehalt in den Etat eingestellt oder ihr rechtskräftig 
angesonnen ist, so ist der Kreisrat berechtigt, die Ermennung nach Anhörung des Kreisaus- 
schusses auf Gemeindekosten vorzunehmen?). 
6) Beharrt eine Gemeindevertretung trotz gegenteiliger rechtskräftiger Entscheidung 
des Verwaltungsgerichtshofs auf einem gemäß LG#. Art. 208 bzw. St O. Art. 233 als kom- 
petenz-, gesetz= oder rechtswidrig beanstandeten Beschluß oder entzieht sie sich fortgesetzt der 
Ausübung ihrer Amtstätigkeit, so kann sie nach vorgängiger gutachtlicher Anhörung des 
1) Siehe LGO. Art. 208, StO. 233. 
2) Siehe LGO. Art. 209, 213 Abs. I, StO. Art. 234. 
3) Das ist die sog. Zwangsetatisierung. 
4) Vgl. LG. Art. 210, St O. 235 und Best zu lebterem Artikel. 
5) Siehe LGO. Art. 213 Abs. II; Best, a. a. 
6) Siehe LO. Art. 211, StO. 236 und Best zu letzterem Artikel. 
7) Siehe LG. Art. 212 und Best a. a. O.
	        
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