Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

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Der Weg der staatlichen Gesetzgebung. 157 
  
Feststellung des Gesetzesinhalts einen selbständigen Akt im Entwicklungsprozeß des Gesetzes. 
Diese Selbständigkeit der Sanktionserteilung tritt um so deutlicher zutage, als die Sanktionierung 
— wie schon oben erwähnt — unter Umständen trotz der ausdrücklichen Zustimmung der 
Regierung zum Gesetzesinhalt, sei es mit, sei es gegen den Willen der Volksvertretung, unter- 
bleiben kann. Ein instruktives Beispiel hierfür bietet das unterm 12. April 1905 im hessischen 
Regierungsblatt (S. 141) verkündete „Gesetz, die staatliche Schlachtviehversicherung betreffend“. 
Dieses sogenannte „Gesetz“ wurde, nachdem es scheinbar alle Stadien des Gesetzgebungs- 
verfahrens durchlaufen hatte, im Regierungsblatt in aller Form Rechtens verkündigt. 
Gleichwohl ist es niemals in Kraft getreten. Denn die in Art. 26 dieses Gesetzes mit den 
Worten: „Das Inkrafttreten dieses Gesetzes wird durch Verordnung bestimmt"“ in Aussicht 
gestellte Verordnung ist, dem Wunsche der Stände entsprechend, wegen der später erhobenen 
Bedenken über die Zweckmäßigkeit des Gesetzes nicht erlassen worden 1). Vielmehr wurde den 
Ständen am 17. Juni 1909 von der Regierung mitgeteilt, der Großherzog habe das Ministerium 
des Innern ermächtigt, „davon abzusehen, das Schlachtviehversicherungsgesetz in Vollzug zu 
setzen". Man mag darüber im Zweifel sein, ob hier eine bedingte Sanktionserteilung vorliegt?2) 
oder ob überhaupt keine Sanktionierung des Gesetzes erfolgt ist — jedenfalls ist der Gesetzes- 
befehl niemals wirksam erteilt worden, und deshalb ist das fragliche „Gesetz“ trotz der Mitwirkung 
der Regierung bei der Feststellung des Gesetzesinhalts und trotz der erfolgten Publikation 
nicht zu einem gültigen Rechtssatz geworden. Es läßt sich deshalb nicht bezweifeln, daß die 
Sanktion nach hessischem Staatsrecht einen selbständigen, notwendigen Akt des Gesetzgebungs- 
verfahrens bildet 3). Irgendwelche gesetzliche Vorschriften über die Notwendigkeit und die 
Form der Sanktionserteilung bestehen nicht. Es gilt jedoch als selbstverständlich und kann jeden- 
falls als gewohnheitsrechtlich feststehend angesehen werden, „daß die Sanktion in einer vom 
Landesherrn unterschriebenen, mit dem Staatssiegel versehenen und gegengezeichneten Urkunde 
erklärt wird“, und „daß in dieser Urkunde auf die erfolgte Zustimmung der Stände Bezug 
genommen und dieselbe ausdrücklich bezeugt werde“ #). 
4. In der Anwendung der erwähnten Formen und Formeln kann neben der Sanktions- 
erteilung gleichzeitig noch eine authentische Konstatierung der verfassungsmäßigen Entstehung 
des Gesetzes, d. i. die sog. Ausfertigung oder „Promulgation“, erblickt werden. 
Das hessische Recht enthält zwar, anders als das Reichsrecht (s. Art. 17 RV.), keine ausdrück- 
liche Vorschrift über die Notwendigkeit der Ausfertigung, indessen nötigt m. E. die Tatsache, daß 
die oben genannten Formen regelmäßig und gleichförmig auch dann angewandt werden, wenn 
keine oder doch nur eine bedingte Sanktionserteilung vorliegt, notwendig dazu, jenen Formeln 
noch eine besondere Bedeutung außerhalb der Sanktion beizumessen. Diese Bedeutung 
liegt dann aber logischerweise in der authentischen Bestätigung des verfassungsmäßigen 
Zustandekommens des Gesetzes 5). 
5. Als ein an die Untertanen gerichteter Befehl bedarf das Gesetz zu seiner Wirksamkeit 
notwendig der Verkündigung oder Publikation. Diese kann rechtswirksam nur 
1) Siehe LV. II 1908/11 Drucks. 207. — Die bereits am Tage der Verkündigung des Ge- 
setzes „in Ausführung des Art. 26"“ jenes Gesetzes erlassene Verordnung, wonach das Gesetz „mit 
seiner Verkündigung“ insoweit in Kraft treten sollte, „als dies erforderlich ist, um die Einrichtung 
der Schlachtviehversicherungsanstalt ins Leben zu rufen“ (RBl. S. 148), ist offenbar niemals 
vollzogen worden und wurde auch niemals ausdrücklich außer Kraft gesetzt. 
2) Solche bedingte Sanktionserteilungen kommen ziemlich häufig vor. 
3) Pabst, S. 2, läßt diese Frage offen. 
4) Laband, RStR., 5. A., B. II S. 21 konstatiert in dieser Richtung mit Recht eine 
gleichmäßige, fast bis auf den Wortlaut der Formel übereinstimmende Praxis der deutschen 
Staaten. In Hessen lautet die Formel (außer bei Finanzgesetzen) regelmäßig: „Gesettz 
betreffend. Bom ... (Datum). N. N. (Name des Landesherrn) von Gottes Gnaden 
Großherzog von Hessen und bei Rhein ufsw. Wir haben unter Zustimmung 
Unserer getreuen Stände verordnet und verordnen hiermit, wie folgt...“ (Gesetzestext). „Ur- 
kundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und beigedrückten Großherzoglichen Siegels.“ Hierauf 
kelnte Ort uund Datum der Unterfertigung, Name des Landesherrn, Namen der gegenzeichnenden 
inister, L. S. — 
5) Vgl. die grundlegenden Ausführungen Labands i. s. RStR. 5. A. B. II S. 13 ff. 
 
	        
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