Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

g 3 Das Großherzogtum Hessen als absoluter Staat und der Übergang zum Verfassungsstaat. 5 
  
vassalitischen Nexus, welcher die deutschen Einzelstaaten bisher mit dem Reiche verbunden hatte, 
und hatte für Hessen auch im übrigen tief eingreifende Veränderungen seines öffentlichen Rechts- 
zustandes und seiner territorialen Verhältnisse im Gefolge. Zunächst gab der Beitritt zu dem am 
12. Juli 1806 geschlossenen Rheinbunde und die am 6. August 1806 förmlich ausgesprochene Auf- 
lösung des Deutschen Reichesdem Landgrafen von Hessen-Darmstadt die „volle —durch Napoleons 
Protektorat allerdings stark eingeschränkte — Souveränität 1). Am 13. August 1806 erklärte 
der bisherige Landgraf Ludwig X. — als Großherzog „Ludewig I.“ — die bisherige Land- 
grasschaft zu einem souveränen Großherzogtum; am 1. Oktober 1806 erfolgte als erste Macht- 
äußerung des absoluten Regiments die Aufhebung der alten Landstände :). Der Sturz 
Napoleons führte zu einer neuen Gruppierung der deutschen Staaten; an den Pariser Frieden 
vom 30. Mai 1814 schlossen sich die Verhandlungen des Wiener Kongresses vom Jahre 1815 
an, welche in der Gründung des „teutschen Bundes“ („Teutsche Bundesakte" vom 8. Juni 1815) 
gipfelten. Die absolutistisch-monarchistische Regierungsform Hessen-Darmstadts wurde durch den 
Eintritt des Großherzogtums in den neuen völkerrechtlichen Verein der deutschen Staaten nicht 
berührt. Das Endergebnis der mit dem Jahre 1817 abschließenden vielfältigen Gebietsverände- 
rungen der damaligen Zeit war eine sehr erhebliche Vergrößerung des hessischen Besitzstandes 3). 
Zu den katzenellenbogenschen Amtern (Darmstadt, Lichtenberg, Zwingenberg und 
Jägersburg, Dornberg, Rüsselsheim u. a.), welche das Kernland des bessischen Staates und 
den Hauptbestandteil der heutigen Provinz Starkenburg bilden, und zu den in den Jahren 
1627, 1648 und 1662 wesentlich vermehrten oberhessischen Amtem erwarb Hessen-Darmstadt 
im Jahre 1803 eine Anzahl kurmainzischer, pfälzischer und Wormser Besitzungen, die Propstei 
Wimpfen und die Reichsstadt Friedberg sowie das Herzogtum Westphalen, welch letzteres 
allerdings im Jahre 1815 an Preußen abgetreten werden mußte. Die Mediatisierungen des 
Jahres 1806 brachten Hessen die Burggrafschaft Friedberg und eine große Zahl standesherr- 
licher und reichsritterschaftlicher Besitzungen; weitere, allerdings nur vorübergehende Gebiets- 
erweiterungen erfolgten im Jahre 18104). In den Jahren 1815 und 1816 erhielt Hessen auf 
Grund der Wiener Kongreßakte und einiger späterer ergänzender Verträge als Kompensation 
für Westfalen die ganze jetzige Provinz Rheinhessen (Alzey, Worms, Mainz usw.). 
Großherzog Ludewig, der Neugründer des hessischen Staates, benützte seine neugewonnene 
absolute Gewalt zu einer Reihe aufgeklärter, für die Gesamtheit der Bevölkerung sehr segens- 
reicher Maßnahmen, namentlich zur Aufhebung der bisherigen Steuerfreiheiten und zur Be- 
freiung des Bauernvolks von den Beschränkungen der Person und des Eigentums 5). 
II. Nach der Niederkämpfung Napoleons entstand auch in Hessen eine lebhafte Ver- 
fassungsbewegung, der sich die Regierung längere Zeit vergebens widersetzte. Ein vom Groß- 
herzog unterm 18. März 1820 ohne Mitwirkung des Volkes erlassenes Verfassungsedikt wurde 
von den nach Maßgabe dieses Ediktes berufenen Volksvertretern mit Recht nicht als eine 
eigentliche Verfassungsurkunde anerkannt. Nach langwierigen Verhandlungen gab die Re- 
gierung in einer Erklärung vom 14. Oktober 1820 den Entschluß kund, „sich mit den Ständen 
des Großherzogthums über alle ihre Desiderien, in Beziehung auf jenes Edikt, zu vereinigen“ 
und „das Resultat dieser Vereinigung, noch vor Landtagsabschluß, in eine neuredigirte Ur- 
kunde, welche dann alle vereinbarten Punkte der Verfassung zusammenstellen sollte, nieder- 
1) Bgl. A eicht ütz. Deutsches Siaatsrecht, Enzyklopädie d. Rechtswissenschaft, hrsg. von 
Kohler, 6. Aufl., Bd. 467 ff. und 480 ff. 
2) Siehe die 1 n 2 Patente v. 13. VIII. u. 1. X. 1806, Beck, StK., S. 319 ff. 
3) va Vollgraff, Die Teutschen Standesherrn, 2. Aufl. 1851; Beilagenband; Ewal d, 
a. a. O. S. 6 ff.; Schrohe S. 40 f.; Statist. Handbuch f. d. Großh. Hessen, 
1909, S. 2; . auch die eingehende, die heutige Provinzialeinteilung berücksichtigende Darstellung 
der territorialen Gestaltung Hessens bei A. B. Schmidt, Die Eicchichtlichen Grundlagen des 
Bürgerlichen Rechts i. Gr. H., Gieß. Univ. d. Programm 1893, 
4) Siehe Schmidt, a. a. O. S. 
5) Siehe Wilh. Stahl, Die Emiuonltn der neueren Staatsprinzipien i. Gr. H., Akad. 
Festrede, Gießen 1862; Goldmann, Die Gesetzgebung d. Großh. H. in Beziehung a. d. Be- 
freiung d. Grundeigentums usw., 1831, mit Nachtrag v. 1841;Thomas, Beiträge zur Ge- 
schichte der Bauernbefreiung u. der Entlastung des lankl. Grundbesitzes i. Gr. H., Gieß. ifl. 1910. 
 
	        
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