Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

162 Die Gesetzgebung. *65 
  
streckung“ ist die tatsächliche Erreichung dieses Zieles. Soweit nun ein Gesetz Mängel enthält, 
welche diese Handhabung und Vollstreckung des Gesetzes unmöglich machen, ist der Landes- 
herr befugt, die zur Beseitigung dieser Hindernisse „rforderlichen“ Maßnahmen zu 
treffen. „Die Erforderlichkeit ist also das Kriterium der Verfassungsmäßigkeit.“ „Das zur Durch- 
fübrung des Gesetzes „Erforderliche“ bildet den Rahmen, innerhalb dessen sich die anordnende 
Tatigkeit der Staatsgewalt ohne ständische Konkurrenz bewegen kann.“ Innerhalb dieses 
Rahmens sind zufolge Art. 73 HV. Rechtsverordnungen jeglichen — also auch polizeilichen — 
Inhalts zulässig. Der Inhalt braucht sich nicht auf Wiederholung der in den Gesetzen bereits 
vorhandenen Rechtssätze, aus Folgerungen aus diesen und auf deren Anwendung zu beschränken, 
sondern er darf auch dos Gesetz selbst ergänzen, insoweit dies eben zur Durchführung des Gesetzes 
notwendig ist. Unter „Gesetzen“ im Sinne des Art. 73 sind selbstverständlich nur Landes- 
gesetze zu verstehen, und zwar nur solche, die den Voraussetzungen des Art. 72 genügen, also 
Gesetze im formellen Sinn. Der ECrlaß von landesherrlichen Ausführungsverordnungen zu 
Reichsgesetzen ist nur dann zulässig, wenn das Reichsgesetz eine entsprechende Delegation 
enthält 1). Unbedingte Voraussetzung der Zulässigkeit und Gültigkeit jeder Verordnung ist 
natürlich ihre Harmonie mit dem bestehenden Recht. Verordnungen, die mit bestehenden Ge- 
setzen — Reichs= oder Landesrecht — in Widerspruch treten, sind, soweit sie hierzu nicht aus- 
drücklich autorisiert sind, unzulässig und ungültig. 
Abgesehen von Rechts vorschriften können die in Frage stehenden Verordnungen 
natürlich auch sog. Verwaltungs vorschriften in Gestalt von Anordnungen über Orga- 
nisation, Pflichten, Stellung und sonstige Verhältnisse der Behörden und Beamten des Staats 
enthalten. In diesem Falle tragen die Ausführungsverordnungen gleichzeitig den Charakter 
von Rechts- und von Verwaltungsverordnungen:). Soweit das letztere der Fall 
ist, entscheidet hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit und Recchtsgültigkeit ihres Inhaltes 
die rechtliche Abgrenzung der staatlichen Befehlsgewalt gegenüber den Behörden und Beamten. 
Bezüglich der Form der Verordnungen bestehen keinerlei Vorschriften, namentlich ist 
nicht vorgeschrieben, daß in den zur Ausführung eines Gesetzes dienenden Verordnungen 
ausdrücklich auf dieses Gesetz oder auf den Art. 73 HV. Bezug genommen werde. Diese Bezug- 
nahme ist jedoch das übliche und wünschenswerte 3). 
Inhalt und Form der landesherrlichen Ausführungsverordnungen werden, bevor diese 
dem Großherzog „zur Genehmigung und Vollziehung“ unterbreitet werden, zufolge § 4 Ziff. 4 
der Org. VO. vom 15. März 1879 durch das Staatsministerium festgestellt. Diese Mit- 
wirkung des Staatsministeriums beim Erlasse von Verordnungen ist indessen 
keine notwendige Voraussetzung für deren Rechtsgültigkeit, denn sie ist weder in der Ver- 
fassung noch in einem späteren Gesetze vorgeschrieben. Das gleiche gilt von der Gegen- 
zeichnung durchdenressortmäßig zuständigen Minister. Diese Gegen- 
zeichnung bildet zwar seit der Org. VO. vom 28. Mai 1825 (pos. VIII) die Regel, aber sie ist 
weder für die Inanspruchnahme der Ministerwerantwortlichkeit 41) noch für die Rechtsgültigkeit 
der Verordnung rechtlich erforderlich, da sie bisher gesetzlich nicht vorgeschrieben ist 5). 
Notwendige Voraussetzung für das Inkrafttreten einer landesherrlichen Rechtsverordnung 
ist deren Verkündigung im Regierungsblatt. In dieser Beziehung gelten für 
Verordnungen die gleichen Vorschriften wie für Gesetze im formellen Sinn 6). Dieser Grund- 
satz war schon zur Zeit des Erlasses der Verfassungsurkunde geltendes Recht, bedurfte also keiner 
ausdrücklichen Feststellung durch formelles Gesetz. 
  
1) Siehe die zutreffenden näheren Ausführungen Aulls S. 77—79. 
2) Der Ausdruck „Verwaltungsverordnung“ (= „Verordnung im materiellen Sinne“) 
ist hier und im folgenden in dem Sinne gebraucht, welchen die herrschende Terminologie hiermit 
verbindet. Vgl. hierüber Meyer-Anschütz S. 571 f. Bezüglich des Ausdruckes „Rechts- 
verordnung" s. oben S. 159 Anm. 4. 
3) Siehe des näheren Aull S. 79—81. 
4) Vgl. hierüber oben §# 32, 33. 
A 5) Gl. A. Aull S. 30; A. A. Esselborn S. 92f. Vgl. auch oben S. 29 und 72 
nm. 6. 
6) Siehe oben §& 64 S. 157 f. Vgl. auch Aull S. 79 f.
	        
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