Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

l66 Die Polizeiverordnungen insbesondere. 169 
  
ministerium noch die ihnen durch einzelne Gesetze ausdrücklich übertragenen speziellen 
Verordnungsbefugnisse, deren Umfang sich ausschließlich nach dem delegierenden 
Gesetz — gleichgültig, ob Reichs- oder Landesrecht — bemißt. 
3. Die Provinzialdirektoren haben bisher grundsätzlich kein Polizei- 
verordnungsrecht. Da es gemäß KP. Art. 93 bis zu dem in Aussicht genommenen Erlaß 
eines allgemeinen Polizeiverwaltungsgesetzes bezüglich der Rechte und Pflichten des Provinzial- 
direktors, soweit sie nicht durch die neue Kreis-- und Provinzialordnung vom 8. Juli 1911 ab- 
geändert wurden, „bei den darüber bestehenden Vorschriften auch ferner sein Bewenden“ 
hat, gilt hinsichtlich der polizeilichen Zuständigkeit der Provinzialdirektoren folgendes: 
à) Zufolge Art. 2 Ziff. 1 des Ediktes, die Organisation der Regierungsbehörden, ins- 
besondere der Provinzialbehörden betreffend, vom 12. November 1860 (RBl. S. 341) im Zu- 
sammenhalt mit Art. 117 der alten, Art. 93 der neuen KPO. steht den Provinzialdirektoren 
„die Anordnung solcher Sicherheits= und sanitätspolizeilichen Maßregeln“ zu, „deren Ergreifung 
im Interesse der ganzen Provinz oder mehrerer Kreise als notwendig oder zweckmäßig erscheint". 
b) Die Provinzialdirektionen von Starkenburg und Rheinhessen sind auf Grund spezieller 
Gesetze zum Erlasse gewisser strompolizeilicher Verordnungen und Verfügungen in Schiffahrts- 
angelegenheiten befugt. 
Unter die Kategorie „sicherheits- und sanitätspolizeilicher Maßregeln“ könnten dem Be- 
griffe nach an sich auch Rechtssätze sicherheits- und sanitätspolizeilichen Inhalts sub- 
sumiert werden. Da aber der Erlaß von Rechtssätzen, abgesehen von den oben erörterten Aus- 
nahmen zugunsten des landesherrlichen und des ministeriellen Verordnungsrechts stets der 
Form des Gesetzes oder einer besonderen in Gesetzesform gekleideten Ermächtigung bedarf, 
so ist es nicht möglich, die oben genannte Bestimmung des Ediktes von 1860 als Delegation 
eines Polizeiverordnungsrechts der Provinzialdirektoren anzusehen. Es ist denn auch ein 
derartiges Polizeiverordnungsrecht meines Wissens weder in der Literatur behauptet, noch — 
von vereinzelten Versuchen abgesehen — in der Praxis geübt worden 1). 
4. Den Kreisräten steht gemäß Art. 64, 65 der KPO. (Art. 78, 79 des alten Ge- 
setzes) einerseits ein allgemeines Polizeiverordnungsrecht, andererseits 
ein Notverordnungsrecht für außerordentliche Fälle zu?:). a) Allgemeines 
Polizeiverordnungsrecht: Den räumlichen Geltungsbereich der 
auf Grund des Art. 64 erlassenen Polizeiverordnungen bilden entweder der ganze Kreis oder 
bestimmte einzelne Teile desselben oder bestimmte einzelne Landgemeinden des Kreises. Ist 
das erste oder das zweite der Fall, so ist der Erlaß der Polizeiverordnung an die Zustimmung 
des Kreisausschusses und die Genehmigung des Ministeriums des Innern geknüpft; im letzten 
Falle wird die Zustimmung des Kreisausschusses ersetzt durch die „Vernehmung" der Lokal- 
polizeibehörde und der Gemeindevertretung der betreffenden Landgemeinde. 
Ihrem Inhalte nach müssen sich die Polizeiverordnungen selbstverständlich inner- 
halb des Aufgabenkreises der Polizei 3) bewegen, d. h. sie müssen der Vorbeugung, Abwehr 
oder Beseitigung gefahrbringender, rechts= oder ordnungswidriger und zugleich dem öffent- 
lichen Interesse zuwiderlaufender Zustände dienen. Auch darf eine Polizeiverordnung nicht 
im Widerspruch mit Gesetzen oder mit Verordnungen eines übergeordneten Staatsorganes 
stehen. Gegen die Ubertretung von Polizeiverordnungen „kann“ "), wenn nicht schon eine 
1) Der Gesetzentwurf, die Kreis- und Provinzialordnung betr., von 1906 sah in Art. 217, 
218 die Schaffung eines allgemeinen Polizeiverordnungsrechts sowie eines Notverordnungs- 
rechts für die Provinzialdirektoren vor, der Vorschlag ging aber nicht in das Gesetz von 1911 über. 
2) Das Gesetz gebraucht in Art. 64 nicht den Ausdruck „Polizeiverordnung“, sondern spricht 
von „Polizeivorschriften“. Im Sprachgebrauch der Praxis werden diese aber regelmäßig als 
„Polizeiverordnungen“ bezeichnet; so verweist beispielsweise das Inhaltsverzeichnis der amt- 
lichen Handausgabe der KO. unter dem Worte Wolizeiverordnung. auf die hier erörterten Be- 
stimmungen des Art. 64; das gleiche gilt von dem außerordentlich sorgfältig ausgearbeiteten 
amtlichen Sachregister des Regierungsblattes. 
3) Siehe hierüber unten 3 85. 
4) Das Wort „kann“ drückt nur aus, daß die Höhe der Strafandrohung innerhalb des 
gesetzlichen Rahmens in das Ermessen des Verordnenden gestellt ist. Die Notwendig-
	        
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