176 Die Verfahrensvorschriften. z 69
lässig, wenn sie sich auf eine Rechtsnorm zu stützen vermag. In dieser Richtung sind nament-
lich folgende gesetzliche Vorschriften von Interesse:
1. Zufolge KPO. Art. 66 ist der Kreisrat befugt, nach näherer Vorschrift des Gesetzes
zur Erreichung bestimmter polizeilicher Zwecke Zwang anzuwenden. S. hierüber unten §& 86.
2. Zufolge St O. Art. 129b, LGO. Art. 128 a stehen entsprechende Befugnisse auch
dem Bürgermeister bzw. dem mit der Handhabung der Lokalpolizei betrauten besonderen
großherzoglichen Beamten zu. S. hierüber unten §§ 85, 86.
3. Zufolge St O., LG. Art. 22 können die Angehörigen einer Gemeinde zu persönlichen.
Leistungen im Gemeindeinteresse (z. B. Straßenreinigung) nur auf Grund gesetzlicher oder
gesetzlich zugelassener Bestimmungen gezwungen werden. Beispiele für derartige Verpflich-
tungen finden sich, außer in Ortssatzungen, u. a. in dem G., die Errichtung von Sicherheits-
wachen usw. betr., vom 21. Februar 1824 (RBl. S. 30) § 2 und in dem G., die Landesfeuer-
löschordnung betr., vom 29. März 1890 (RBl. S. 46) Art. 11 1).
4. Auf Grund der Reichsgewerbeordnung und der Vollzugsverordnung sowie der
Ausführungsverordnung hierzu vom 20. März 1912 (RBl. S. 47, 48) haben die mit deren Durch-
führung betrauten Verwaltungsbehörden mehrfache Zwangsbefugnisse, die zum Teil sehr erheb-
liche Eingriffe in die Freiheit und das Eigentum gestatten.
5. Eine Reihe von polizeilichen Zwangsbefugnissen stellen sich als eine Folge gericht-
licher Verurteilung dar. Hierher gehören:
a) solche, die vom Strafrichter erkannt und von den Verwaltungsbehörden nur
vollzogen werden, z. B. Zwangserziehung gemäß RöStB. F56;
b) solche, welche vom Strafrichter nur als zulässig erklärt werden (z. B. Einschaffung
in ein Arbeitshaus bei Uberweisung an die Landespolizeibehörde gemäß RStG. FJ 362);
e) solche, welche auf Grund der Verurteilung wegen bestimmter strafbarer Handlungen
von der Polizei ohne weiteres verfügt werden können, z. B. Verweisung aus dem Bundes-
gebiet bei Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Glücksspiels, Verwendung zu gemeinnützigen
Arbeiten im Falle der Verurteilung wegen Gewerbsunzucht gemäß RSt GGB. # 284, 361
Ziff. 6, 362);
d) solche, die sich aus der vom Gerichte ausgesprochenen Stellung unter Polizeiaufsicht
ergeben (RStGB. Ss 38, 39).
g 69. Das Enteignungsverfahren 2). Enteignung (Zwangsenteignung, Expropriation)
ist derjenige staatliche Verwaltungsakt, durch welchen der Staat nach Maßgabe der Gesetze
im öffentlichen Interesse und gegen Entschädigung die zwangsweise Entziehung individueller
Eigentumsrechte verfügt. Die Enteignung ist somit „eine besondere Art des Verwaltungs-
zwangsverfahrens" 3). Sie kann sich begrifflich sowohl auf Mobilien und Immobilien wie
auch auf Rechte beziehen; unter „Enteignungsverfahren“ im engeren Sinne des Wortes wird
aber in der Regel nur die Enteignung von Immobilien und von dinglichen Rechten an solchen
verstanden. Das hessische Enteignungsrecht beruht im allgemeinen auf dem Gesetz vom 26. Juli
1884 (Nl. S. 175) in der Fassung vom 30. September 1899 (RBl. S. 735); einzelne Fälle
sind durch die landwirtschaftlichen Kulturgesetze und andere Spezialgesetze besonders geregelt.
II. Die wichtigsten allgemeinen Grundsätze des materiellen Enteignungs-
rechts sind folgende:
1. Die erste Voraussetzung der E. ist, daß sie für ein zum öffentlichen Nutzen dienendes
Unternehmen erfordert wird. 2. Dem Enteigneten muß vollständige Entschädigung gewährt
werden. 3. Enteigner können sein: a) der hessische Staat, b) hessische Provinzen, Kreise und
1) Weitere Beispiele s. in den Motiven. Vgl. Best, LGO., S. 10.
2) Literatur des hess. Enteignungsrechts: Arnold, Das Gesetz, die Enteignung von
Grundeigentum betr., erläutert, 1885;4 Fuld, Enteignungsrecht i. Gr. H., in Annalen des
Deutschen Reichs, 1885 S. 58; Wolff, Die Enteignung nach Maßgabe d. Gr. Hess. E., 1891;
Küchler (Braun und Weber) III § 408; Kühn, Die öffentl.-rechtlichen Grundlagen
desobel. ER., Gießener Diss., 1909; Gauf-Fuchs-Wolf, Hess. Landesprivatrecht, 1910,
, —5.
« 3) Siehe Cosack S. 59.