182 Die Finanzverwaltung. Die staatliche Finanzverwaltung. § 73
in der Regel nur zur Bezeichnung der letzteren Art von Staatsschulden, d. i. derjenigen, die
den Zweck haben, dem Staate durch die förmliche Aufnahme einer Staatsanleihe außer-
ordentliche Einnahmen zuzuführen. Jede Vermehrung der Staatsschuld bedarf der ständischen
Einwilligung. Nur „in außerordentlichen Fällen, wo drohende äußere Gefahren die Aufnahme
von Kapitalien dringend erforderm, die Einberufung der Stände aber oder eine vorläufige
Beratung mit denselben durch äußere Verhältnisse unmöglich gemacht wird, kann die Staats-
regierung die erforderlichen Summen lehnbar aufnehmen, vorbehaltlich der Nachweisung
ihrer Verwendung und der Verantwortlichkeit der obersten Staatsbehörde.“ Die gesamte
Staatsschuld ist als solche durch die Verfassung garantiert und ruht „auf den gesamten Landes-
revenüen des Großherzogtums“ (HV. Art. 71, 78). Die Art und Weise ährer Zurückzahlung
bestimmt das Schuldentilgungsgesetz (Gesetz vom 29. Juni 1821 (RBl. S. 379) i. d. F. des
Gesetzes vom 22. März 1879 (Rl. S. 60) beziehungsweise das betreffende spezielle Anleihe-
gesetz 1). Die zur Verzinsung und Tilgung der Staatsschuld erforderlichen Mittel werden je-
weils durch das Staatsbudget festgestellt und hiernach zu diesem Zweck der Hauptstaatskasse
überwiesen und dürfen nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes vom 22. III. 1879 (Art. 2)
zu anderen Staatsausgaben nicht verwendet werden.
Die Schuldaufnahme erfolgt regelmäßig durch die Ausgabe von Inhaberschuldverschrei-
bungen. Diese können jedoch durch Eintragung in das im Jahre 1898 geschaffene Staats-
schuldbuch in Namenforderungen umgewandelt werden. Das Staatsschuldbuch wird
von der Staatsschuldenverwaltung geführt; sein Inhalt wird gegenüber den übrigen Behörden
geheimgehalten. Die Voraussetzungen der Eintragung und der Löschung, sowie die mit dem
Eintrag verbundenen Vorteile sind gesetzlich näher geregelt 2).
II :). Die obere Leitung aller auf die Staatsschuld bezüglichen Geschäfte steht dem
Finanzministerium zu. Die spezielle Leitung der das Staatsschuldenwesen be-
treffenden Geschäfte wird durch die Großh. Staatsschuldenverwaltung ge-
führt, d. i. eine besondere, aus einem Mitglied des Finanzministeriums als Vorsitzendem und
aus zwei von jeder der beiden Kammern für sich auf je sechs Jahre gewählten „landständigen“
Mitgliedern bestehende Staatsbehörde. Der Staatsschuldenverwaltung wird außer der er-
forderlichen Zahl von Beamten ein Kontrolleur beigegeben, welcher abwechselnd von
je einer der beiden Kammern, jedoch ohne Beschränkung auf Mitglieder derselben, auf 6 Jahre
gewählt wird.
Die Kassengeschäfte und die Rechnungsstellung des Staatsschuldenwesens werden von
einer besonderen Zentralkasse besorgt, welche die amtliche Bezeichnung „Staatsschulden-
kasse“ führt. Ihr Personal besteht aus dem Direktor, dem Kassier und Haupt-
rechner und der erforderlichen Anzahl von Buchhaltern und sonstigen Beamten. Sie hat
alle Verpflichtungen und Dienstverrichtungen der früheren Staatsschuldentilgungskasse und
alle früher von der Hauptstaatskasse besorgten einschlägigen Geschäfte wahrzunehmen. Ferner
liegt ihr nach den besonderen Aufträgen der Staatsschuldenverwaltung eine Reihe von speziellen
Aufgaben mehr technischer Natur sowie das gesamte Kassen= und Rechnungswesen der Grund-
rentenablösung, der Staats-Rentenablösung, der Landeskulturrentenkasse und der Landes-
kreditkasse ob /.
B. Die staatlichen Abgaben.
–ls 73. Die reichsrechtlichen Beschränkungen des Besteuerungsrechts. Das Be-
steuerungsrecht Hessens unterliegt ebenso wie dasjenige der übrigen deutschen Staaten von
Reichs wegen sehr erheblichen Einschränkungen. Auf der einen Seite darf der Einzelstaat
1) Siehe z. B. Gesetz, die Herstellung mehrerer Nebenbahnen betr., v. 27. VI. 1908,
Art. 2 (RBl. S. 155, 238).
2) Siehe Gesetzz v. 27. III. 1898 i. d. F. d. Bek. v. 1. IV. 1909 (RBl S. 79) nebst
Ausführungsbestimmungen vom gl. Tg. (RBl. S. 87).
3) Vgl. Gesetz, die Organisation der Verwaltung der Staatsschuld betr., vom 31. März
1897, RBl. S. 56, u. BO., die Organisation der Verwaltung der Staatsschuldenkasse betr
vom 12. September 1900, N#. S. 920.
4) Siehe V. v. 12. IX. 1900, #8 1—5.