192 Die Finanzverwaltung. Die staatliche Finanzverwaltung. 87
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Gegenseitigkeit kann auch für außerhessische Fisci und Anstalten sowie für die in Hessen be-
glaubigten Gesandten Stempelfreiheit gewährt werden (Art. 7).
Die Stempelpflicht trifft regelmäßig denjenigen, von dem oder auf dessen Veranlassung
oder in dessen Interesse die stempelpflichtige Handlung vorgenommen wurde, bei Verträgen
alle daran Beteiligten. Unter Umständen haften aber für die Entrichtung der Stempelabgabe
unter Vorbehalt des Rückgriffs gegen dic primär Verpflichteten weiterhin noch folgende Per-
sonen: 1. der die Nichtentrichtung des Stempels verschuldende Beamte; 2. bei bestimmten
Versteigerungen oder freihändigen Verkäufen der beauftragte Versteigerer oder Verkäufer;
3. endlich „jeder Besitzer einer mit dem gesetzlichen Stempel nicht oder nicht ausreichend ver-
sehenen Urkunde, welcher ein rechtliches Interesse an dem Gegenstande derselben hat“
(Art. 14, 15).
Für die Höhe der Steuer ist im allgemeinen der dem Gesetze beigegebene Tarif
maßgebend. Für bestimmte Fälle schreibt aber das Gesetz unmittelbar eine Ermäßigung
der Steuer vor. Dies gilt namentlich für gewisse, auch der Reichsstempelabgabe unterworfene
Geschäfte, ferner für außerhessische, in Hessen nochmals der Besteuerung unterliegende Ur-
kunden und für unwirksam gewordene Rechtsgeschäfte (Art. 2, 3, 4). Der Tarif enthält bei-
spielsweise folgende Steuersätze: Nr. 4. Approbationsscheine für Arzte usw. Mk. 10; Nr. 5.
Atteste (z. B. Leumundszeugnisse) der Verwaltungsbehörden Mk. 1; Nr. 18. Verleihung des
Bergwerkseigentums Mk. 50—1000; Nr. 24. Doktordiplome Mk. 20; Genehmigung zur
Führung einer von einer außerdeutschen Hochschule verliehenen akademischen Würde Mk. 200;
Nr. 25. Errichtung von Aktiengesellschaften usw. je nach der Höhe des Grundkapitals für je
100 Mk. des Grundkapitals Mk. 1 bis Mk. 1,50; Nr. 27. Eingaben Mk. 1,50; Nr. 34. Erlaubnis-
erteilung für bestimmte, erlaubnisbedürftige Gewerbebetriebe Mk. 1—2000; Nr. 44.
Charaktererteilung Mk. 50—300 (Befreiung für Staatsbeamte und auf Verfügung des
Großherzogs); Nr. 54. Naturalisation Mk. 40 (für frühere gaellaise Staatsangehörige
Mk. 15); Nr. 60. Verleihung der Rechtsfähigkeit Mk. 20—500; Nr. 68. Standeserhöhungen
Mk. 1000—10 000.
Die Festsetzung der Stempelabgabe erfolgt durch die mit der fraglichen
Angelegenheit befaßte Behörde; die Steuerentrichtung geschieht in der Weise, daß
auf dem stempelpflichtigen Schriftstücke Stempelmarken aufgeklebt und entwertet werden.
Der Vertrieb der Stempelmarken erfolgt durch die Großh. Bezirkskassen, welche
diese Marken von der Großh. Hauptstaatskasse beziehen und auf Bestellung an Behörden,
Beamte und Privatpersonen abgeben 1).
5 77. Die Wandergewerbesteuer. Die Wandergewerbesteuer beruht in ihrer heutigen
Gestalt auf dem Gesetze, die Besteuerung des Gewerbebetriebs im Umherziehen betreffend,
vom 22. Dezember 1900 (RBl. S. 1013), in der Fassung der Novelle vom 31. März 1909
(Rl. S. 99)2). Hiernach haben alle Personen, welche in Hessen ein wandergewerbeschein-
pflichtiges Gewerbe im Umherziehen betreiben, dieses Gewerbe vor der Eröffnung und jedes
Jahr neuerdings zur Besteuerung anzumelden und hierfür Wandergewerbesteuer zu ent-
richten. Diese Pflicht bezieht sich, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen, insbesondere auch auf
den Betrieb von sogenannten Wanderlagern, das sind „Unternehmungen, in welchen
außerhalb des Gemeindebezirks des Wohnorts des Unternehmers ohne Begründung einer
gewerblichen Niederlassung und außerhalb des Meß- und Marktverkehrs von einer festen Ver-
kaufsstelle aus vorllbergehend Waren — gleichviel ob zum Verkauf aus freier Hand oder im Wege
der Versteigerung — feilgeboten werden“ 8). Die Wanderlager sind für jede Verkaufsstelle,
1) Siehe Fin M. v. 18. XI. 1901, RBl. S. 699.
2) Siehe amtl. Handausgabe dieses Gesetzes (mit Erläuterungen) Darmstadt 1908. —
Vor dem Inkrafttreten des oben bezeichneten Gesetzes erfolgte die Besteuerung des Hausier-
betriebes auf Grund des Gesetzes, die gleichmäßige Besteuerung der Gewerbe betr., vom 8. VII.
1884. Das Bedürfnis für eine spezielle Regelung des Wandergewerbesteuerwesens ergab sich aus
der Steuerreform von 1899 (s. a. a. O. Vorbemerkung). — Bezüglich der Ausführung des Gesetzes
s. namentlich Allerh. VO. v. 22. XlI. 1900 (RBl. S. 1027) und Dienstanweisung v. 24. XII. 1900.
3) Siehe Gesetz Art. 10, 11.