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durch gewohnheitsrechtliche Rechtsbildung gerechtfertigt. Zudem ist die Steuer schon aus dem
einen Grunde praktisch nahezu bedeutungslos, weil durch landesherrliche Verordnung vom
7. April 1837, Art. 2, das Einfangen und Verkaufen von Nachtigallen bei Strafe verboten ist.
C. Das Budget-= und Rechnungswesen.
§ 80. Die Grundlagen des Budgetrechts. I. Wie in jedem geordneten Staatswesen,
so gründet sich auch in Hessen die Führung der staatlichen Finanzwirtschaft auf einen Wirt-
schaftsplan (Etat, Budget, Staatshaushaltsvoranschlag), der jeweils für eine bestimmte
Wirtschaftsperiode (Finanzperiode, Etatsperiode) einen möglichst genauen Voranschlag der
zu erwartenden Staatseinnahmen und Staatsausgaben enthält. Die Feststellung dieses Wirt-
schaftsplans ist ihrem Wesen nach eine reine Verwaltungsmaßnahme und erlangt rechtliche
Bedeutung erst dadurch, daß nach positivem Recht bei der Vornahme dieses Verwaltungs-
aktes neben der Regierung auch noch die Volksvertretung mitzuwirken hat, und daß
das verfassungsmäßige Zustandekommen der Etatsfeststellung eine weitgehende recht-
liche Bindung der Regierung bewirkt. Die Art und Weise, wie die Volksvertretung
bei der Etatsfeststellung mitzuwirken hat, kann von der Verfassung verschieden geregelt sein:
Entweder so, daß die Etatsfeststellung schlechthin an die Form des Gesetzes gebunden ist, so
daß der Volksvertretung in bezug auf die Vornahme dieses Verwaltungsaktes formell der
gleiche rechtliche Einfluß zusteht, wie in bezug auf die Schaffung von Rechtssätzen ½), oder so daß
die Mitwirkung der Volksvertretung bei der Etatsfeststellung kein selbständiges parla-
mentarisches Recht, sondern lediglich ein Ausfluß des der Volksvertretung verfassungsmäßig
zuerkannten Steuerbewilligungsrechtes ist. In Hessen ist das letztere der Fall.
Das ständische Budgetrecht knüpft in Hessen, ebenso wie in Bayern, Baden und Württemberg,
unverkennbar an das Steuerbewilligungsrecht der alten Landstände an. Der Grundsatz des
Art. 67 1 HV.: „Ohne Zustimmung der Stände kann keine direkte oder indirekte Auflage aus-
geschrieben oder erhoben werden“, der die Grundlage aller parlamentarischen Befugnisse
auf diesem Gebiete bildet, ist nichts anderes als die Wiederholung eines allgemein anerkannten
Prinzips aus der Zeit der alten Landstände. Nur daß die Landstände heute andere geworden
sind, als sie einst waren! Das Finanzgesetz, für welches nach Art. 67 II die Zustimmung
der beiden Kammem einzuholen ist, ist seinem wesentlichen Inhalte nach auch heutigentags
nichts anderes als eine Vorschrift über die zu erhebenden Steuern — ein „Auflagengesetz“ —
während der Staatsvoranschlag (der Etat sowbhl tatsächlich, als auch der Form
nach keine selbständige Vorlage, sondern nur eine dem Finanzgesetz-
entwurfe zur Begründung der Steuervorlage anhangsweise bei-
gegebene „vollständige Ubersicht und Nachweisung der Staatsbedürfnisse“ bildet. Unter diesen
Umständen liegt es auf der Hand, daß das Budgetrecht der hessischen Landstände seinem Ur-
sprunge nach durchaus anders geartet ist als etwa das Budgetrecht des deutschen Reichstags,
der gemäß RV. Art. 69 schlechthin über den ganzen Etat als solchen — also in gleicher
Weise über die Einnahmen wie über die Ausgaben — zu beschließen hat. Die Besonderheiten
des hessischen Budgetrechts lassen sich, abgesehen von der Entstehungsgeschichte und dem
Wortlaute des Art. 67 HV. 2) namentlich aus der Formulierung des Finanzgesetzes erkennen:
Die Einleitungsworte des ersten hessischen Finanzgesetzes (G. v. 8. VI. 1821, RBl. 1821
S. 221) lauteten: „Nachdem wir über die Art und Weise, wie die im Wege der „Besteue-
rung“s) zu deckenden Summen, welche zur Bestreitung der gesamten Staatsausgaben er-
forderlich sind, in den Jahren 1821, 1822 und 1823 aufgebracht werden sollen, mit Unsern
getreuen Landständen übereingekommen sind, so verordnen Wir darüber folgendes:
Aus dieser Formulierung geht mit Bestimmtheit hervor, daß die, durch die landesherr-
liche Sanktion zum Gesetze erhobene Vereinbarung zwischen Landesherrn und Volksvertretung
1) Dies ist namentlich nach preuß. Recht und nach Reichsrecht der Fall.
2) Vgl. hierzu namentlich die Art. 15, 16 u. 17 des Verfassungsedikts vom 18. III. 1820
(RBl. S. 101 ff.).
3) Die zwischen „“ gestellten Worte sind im Original äußerlich nicht hervorgehoben.
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