Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

200 Die Finanzverwaltung. Die staatliche Finanzverwaltung. 581 
  
1. Zufolge Art. 68 HV. dürfen „die Bewilligungen" 1) von keiner Kammer „an die 
Bedingung der Erfüllung bestimmter Desiderien“ geknüpft werden. Nach dieser, dem bayri- 
schen und badischen Rechte nachgebildeten, aus dem Ursprungslande des Konstitutionalismus 
stammenden Vorschrift ist es rechtlich unstatthaft, Geldbewilligungen mit Bedingungen zu 
belasten, welche mit dem Verwendungszwecke der bewilligten Einnahme außer Zusammen- 
hang stehen. Die einzige „Bedingung“, welche die Stände stellen können, ist die, daß ihnen 
ein vollkommen klarer Einblick in die finanziellen Verhältnisse des Staates („nicht nur eine 
vollständige Ubersicht und Nachweisung der Staatsbedürfnisse, sondern auch eine genügende 
Auskunft über die Verwendung früher bewilligter Summen“") gegeben wird, damit sie sich 
auf diese Weise von der Notwendigkeit der ihnen von der Regierung angesonnenen Geld- 
bewilligung überzeugen können 2). 
2. Zufolge Art. 70 HV. kann die Zivilliste „während der Dauer der Regierung eines 
Großherzogs weder, ohne seine Bewilligung, gemindert, noch, ohne Zustimmung der Stände 
erhöhet werden“. Durch diese Bestimmung werden sowohl der Großherzog als auch die Stände 
in ihrer budgetrechtlichen Bewegungsfreiheit beschränkt. Der Großherzog insofern, als hierin 
eine Einschränkung des ihm begrifflich zustehenden Rechtes der freien Bestimmung der Staats- 
ausgaben liegt 3); die Stände insofern, als es ihnen durch diese Vorschrift unmöglich gemacht 
ist, von der beim Regierungsantritt des Großherzogs vereinbarten Höhe der Zivilliste später 
wieder abzugehen ). 
IV. Eine notwendige Folge des verfassungsmäßigen Grundsatzes, daß ohne Zustimmung 
der Stände keine Steuer ausgeschrieben oder erhoben werden darf, ist die Regel, daß auch 
die Aufnahme von Anleihen von der Genehmigung der Volksvertretung abhängt. Diese 
Regel ergibt sich aus der Vorschrift des Art. 71, welcher die selbständige Aufnahme von Kapi- 
talien von seiten der Staatsregierung auf „außerordentliche Fälle“ beschränkt, „wo drohende 
äußere Gefahren die Aufnahme von Kapitalien dringend erfordern, die Einberufung der 
Stände aber, oder eine vorläufige Beratung mit denselben durch äußere Verhältnisse un- 
möglich gemacht wird.“ Der Fall der Notanleihe dürfte heute, wo das Reich den Schutz nach 
außen übernommen hat, wohl kaum mehr praktisch werden. Tritt er ein, so muß sich die 
Regierung auf die Aufnahme der „erforderlichen“ Summen beschränken, sie muß ferner den 
Ständen nachträglich die Verwendung nachweisen, und sie trägt bis zum Eintritte der Ent- 
lastung die Verantwortlichkeit dafür, daß die Anlehensaufnahme sachlich gerechtfertigt war, 
und daß die Verwendung nur zu den zulässigen Zwecken erfolgte. 
#s1. Entstehung und Wirkung des Finanzgesetzes. I. Aus den vorstehenden 
Ausführungen und den hierzu allegierten Bestimmungen der hessischen Verfassung geht her- 
vor, daß das Zustandekommen einer Budgetvereinbarung zwar nicht die unerläßliche verfassungs- 
mäßige Voraussetzung für die Durchführung der Staatsaufgaben ist, daß diese Vereinbarung 
1) Der Ausdruck „Bewilligungen“ ist nach den vorstehenden Erörterungen felbstoerstöndüich 
in dem Sinne von „Steuerbewilligungen“ gemeint, da die Verfassungsurkunde den Begrif 
der usgabenbewilligung überhaupt nicht kennt. 
2) Val. van Calker, VG. S. 78f., Cosack S. 76. 
3) Dieses Recht äußert sich in seiner ursprünglichen Weise allerdings nur noch im Falle 
des Nichtzustandekommens einer Budgetvereinbarung. 
4) Die einmalige etatsmäßige Anerkennung eines bestimmten Bedürfnisses durch die 
Stände bzw. die Regierung hat natürlich nicht die Wirkung, daß dieses Bedürfnis nunmehr in 
jedem Etat in gleicher Weise anerkannt und durch die Bewilligung einer Einnahme von ent- 
sprechender Höhe gedeckt werden müßte. Eine solche dauernde Bindung wird durch die erst- 
malige Bewilligung nur dann bewirkt, wenn es sich um eine Bewilligung handelt, die im Hinblick 
auf ihren Zweck oder infolge Gesetzes, Vertrags, gewohnheitsrechtlicher oder allgemeiner ver- 
fassungsrechtlicher Grundsätze, offensichtlich den Charakter der Dauer an sich trägt (z. B. Be- 
willigung zum Zwecke der Schaffung einer bestimmten, nicht ausdrücklich oder der Natur der 
Sache nach auf vorübergehende Zeit beschränkten organisatorischen Einrichtung, z. B. Hochschule). 
Die Bewilligung einer Zivilliste würde, was die Bemessung der Summe anlangt, ihrem Wesen 
nach nicht den Charalter der Dauer an sich tragen; hier beruht also die dauernde 
Bindung unmittelbar auf der Berfassung (Art. 70). (In meiner Ausgabe der HV. S. 79 habe 
ich die Borschrist des Art. 70 unrichtigerweise als etwas Selbstverständliches bezeichnet.)
	        
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