202 Die Finanzverwaltung. Die staatliche Finanzverwaltung. 8 81
7. Falls die I. Kammer bei der unter Ziff. 6 erwähnten Beschlußfassung den Beschlüssen
der II. Kammer nicht beitritt, so geht das Finanzgesetz nebst Hauptvoranschlag an die
II. Kammer zur nochmaligen Beratung und Beschlußfassung über die Punkte, hinsichtlich
deren Meinungsverschiedenheit besteht, zurück (erste „Rekommunikation“).
8. Die II. Kammer beschließt nun nochmals über die strittigen Punkte. Soweit sie
bei dieser Beschlußfassung ihre abweichenden Beschlüsse aufrecht erhält, gehen diese zum
zweiten und letzten Male an die I. Kammer („Zweite Rekommunikation“).
9. Die I. Kammer faßt nun über jene Punkte abermals Beschluß. Dabei bestehen zwei
Möglichkeiten: a) Tritt sie der beschlußmäßigen Meinung der II. Kammer nicht bei, so sind,
wenn die II. Kammer nicht nachträglich doch noch den Beschlüssen der I. Kammer zustimmt,
die noch nicht durch übereinstimmenden Beschluß der beiden Kammern erledigten Punkte
des Hauptvoranschlags in denselben so einzustellen, wie sie sich aus der Be-
schlußfassung der II. Kammer ergeben.
b) Lehnt die I. Kammer das Finanzgesetz ab, so ist über dasselbe in einer Versamm-
lung der vereinigten Kammern, die unter dem Vorsitze des Präsidenten der
I. Kammer stattfindet, zu beraten und im ganzen abzustimmen. Bei dieser Abstimmung ent-
scheidet die absolute Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des
Präsidenten der II. Kammer.
10. Von dem Grundsatze, daß alle Staatsausgaben in dem Hauptvoranschlage „an-
zufordern“, d. h. zur Begründung der Steuerforderung aufzuführen sind, wurde mit Rück-
sicht auf den verhältnismäßig geringen Einfluß, den die erste Kammer in bezug auf die Fest-
stellung des Etats besitzt, folgende Ausnahme gemacht: Erfordert ein Gegenstand einen
Gesamtkostenaufwand von mehr als 200 000 Mk., der im Wege der Anleihe gedeckt werden
soll, so muß die Anforderung dieser Mittel in einer besonderen Gesetzesvorlage der ständischen
Beschlußfassung unterbreitet werden. Für die Behandlung dieser Gesetzesvorlage gelten — da
hierüber nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist — die Grundsätze des normalen Gesetz-
gebungsverfahrens u), also nicht die Sondervorschriften über die Schaffung des Finanzgesetzes.
Die genannte Ausnahmebestimmung findet keine Anwendung: a) auf Anforderungen, die
gestellt werden zur Bewirkung der dem hessischen Staate auf Grund der hessisch-preußischen
Eisenbahngemeinschaft obliegenden Leistungen; b) überhaupt auf Anforderungen, die „zur Er-
füllung rechtlich begründeter Verpflichtungen der Staatskasse oder zur Durchführung gesetzlich
beschlossener Maßregeln oder zur Deckung von Fehlbeträgen der Verwaltung“ gestellt werden.
II. Wie schon oben hervorgehoben wurde, ist die Bindung der Regierung an das
Finanzgesetz und den Staatsvoranschlag in Hessen die gleiche wie in anderen konstitutionellen.
Staaten. Diese Bindung würde, auch wenn sie in dem Gesetze, die Verwaltung der Ein-
nahmen und Ausgaben des Staates betreffend, vom 14. Juni 1879 i. d. F. vom 27. Juni
1900, Art. 1, nicht noch besonders statuiert wäre, schon um deswillen bestehen, weil die
Regierung in dem Finanzgesetz 2) jedesmal in der feierlichen Form des Gesetzes ausdrücklich
verspricht, sämtliche Staatsausgaben auf die verschiedenen Verwaltungszweige so zu verwenden,
„wie die Bedürfnisse derselben von Unseren getreuen Ständen bewilligt worden und in der
Beilage zu gegenwärtigem Gesetz ausgeführt sind“.
Im übrigen enthält das vorgenannte, nach dem Entwurf eines Reichsetatgesetzes aus
dem Februar 1877 gestaltete Etatsrechtsgesetz von 1879 eine Reihe von Einzelbestimmungen
in bezug auf die Durchführung des Hauptstaatsvoranschlags und der diesem Voranschlag aus-
drücklich gleichgestellten einschlägigen Gesetze, Verordnungen und Vereinbarungen. Diese
Bestimmungen beziehen sich namentlich auf die äußere Anordnung des Etats (Art. 3), auf
die Ubertragbarkeit bzw. Nichtübertragbarkeit von Ausgaben von einer Finanzperiode in die
andere (Art. 4); auf die Art und Weise der Buchung (Rauhbeträge!!) (Art. 5), auf die Vor-
nahme von Veräußerungen auf Rechnung des Staats (Art. 6), auf den Abschluß, den Vollzug
und die Abänderung von Kontrakten für Rechnung des Staats (Art. 7—9), auf das Erlassen
1) Siehe oben 64, S. 154.
2) Bgl. z. B. Finanzgesetz v. 29. III. 1911 (RBl. S. 35) Art. 5.