Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 8 Staatsvolk und Staatsbevölkerung. 11 
  
herzogtums Hessen wird durch Art. 1 und 3 HV. abschließend festgestellt. Er deckt sich mit der 
„Gesammt-Vereinigung“ der zur Zeit des Erlasses der Verfassung der hessischen Staatshoheit 
unterworfenen „älteren und neueren Gebietstheile“, welche eben durch jene Verfassung zu 
einem einheitlichen Ganzen vereinigt wurden. Jede Vermehrung dieser Gebietsteile be- 
deutet ebenso wie jede Verminderung eine Veränderung dieses Staatsganzen und somit eine 
Verfassungsänderung. Dadurch ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß der Großherzog vor- 
behaltlich der gegebenenfalls erforderlichen Reichsgenehmigung als präsumtiv zuständiger 
Träger der hessischen Staatsgewalt (siehe unten § 14) auch ohne die Formen der Verfassungs- 
änderung in völkerrechtlich wirksamer Weise einen deutschen oder außerdeutschen Gebietsteil 
erwirbt. Zu einem Bestandteile des Großherzogtums Hessen wird der neuerworbene Gebiets- 
teil aber erst mit der Erfüllung der Voraussetzungen der Verfassungsänderung. Bis dahin 
ist das betreffende Gebiet ein „Nebenland“/1), welches mit Hessen in Personalunion steht2) 
und mit dessen Verfassung und Gesetzgebung rechtlich nichts zu tun hat. 
Die Einführung bestehender Gesetze in neue Gebietsteile (d. h. in Gebietsteile des Groß- 
herzogtums, nicht in bloße Nebenländer im vorstehenden Sinn) bedarf seit dem Inkrafttreten 
des sich mit dieser Frage speziell befassenden Gesetzes vom 30. Dezember 1904 (RBl. S. 473) 
nicht mehr der Gesetzesform, sondern lediglich einer Verordnung des Staatsministeriums 3). 
Das gleiche gilt für den Erlaß der zu diesem Zwecke dienenden Ein- und Ausführungs- und 
Überleitungsvorschriften. Das Staatsministerium kann die ihm zustehende Verordnungs- 
befugnis hinsichtlich einzelner Gesetze dem Ministerium des Innemn, dem Justiz- oder dem 
Finanzministerium übertragen. 
Zweites Kapitel. 
Die Bevölkerung des Staates. 
s8. Staatsvolk und Staatsbevölkerung. Die Grenzen der Herrschaftsgewalt 
des Staates bestimmen sich in persönlicher Richtung durch die Gesamtheit aller der- 
jenigen Personen, welche in irgendeiner Weise in die Machtsphäre des Staates eintreten. 
Dieser Personenkreis fällt selbstverständlich weder mit dem Kreise der Staats- 
angehörigen (dem „Staatsvolk") noch mit dem allein durch die Tatsache 
des Wohnsitzes bestimmten Kreise der „Sbtaatsbevölkerung“ zusammen. Zu 
dem Kreise der der Staatsgewalt unterworfenen Personen gehören nicht nur die 
Staatsangehörigen und nicht nur diejenigen Personen, die sich im Staatsgebiete dauernd 
oder vorübergehend aufhalten, sondern auch solche Personen, die, wenngleich außerhalb 
des Staatsvolks stehend oder außerhalb des Staatsgebiets befindlich, infolge irgend- 
welcher anderweitiger Beziehungen, wie Besitz von Grundeigentum oder sonstigen Rechten 
im Inlande, entweder auf Grund der Personalhoheit des Staats oder auf Grund der dem 
Staate zustehenden Gebietshoheit, in einzelnen bestimmten Richtungen von der inländischen 
Staatsgewalt umfaßt werden. Der rechtliche Bestand der dem Staate gegenüber allen seinen 
Staatsangehörigen zustehenden Personalhoheit ist von dem Aufenthalt der Staatsangehörigen 
an sich unabhängig. Das Wesen des Staates erfordert allerdings nicht nur rechtliche, sondern 
auch tatsächliche Beziehungen des Staatsvolks zu der Staatsgewalt. Wenn ein Staatsvolk 
sein bisheriges Staatsgebiet verläßt, so bedeutet dies den Untergang des Staates. 
Die rechtliche Klassifizienung und Betrachtung der Staatsbevölkerung wird Gelegenheit 
geben, auch auf die Rechtsstellung derjenigen Personen einzugehen, welche, wenngleich 
außerhalb der eigentlichen Staatsbevölkerung stehend, dennoch dem oben geschilderten 
— — —— — 
1) Bgl. Otto Mayer, Staatsrecht des Kgr. Sachsen, Tübg. 1909, O. R. d. G. IX S. 24. 
2) Eine Personalunion ist nach hess. Staatsrecht ohne Genehmigung der Stände schlecht- 
hin zulässig; anders eine Realunion. 
3) Von diesem Gesetze wurde zum ersten Male Gebrauch gemacht bei Gelegenheit der im 
Zusammenhang mit der Auflösung des Kondominates Kürnbach erfolgten Gebietserwerbung 
(s). RBl. 1904 S. 474).
	        
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