Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 86 Polizeiverfügung und Polizeizwang. 219 
  
vom 21. August 1901 (RBl. S. 455) hinsichtlich der Jnanspruchnahme militäri— 
scher Hilfe bei öffentlichen Notständen, d. h. bei „Gefahr für Leben oder 
Eigentum“ und „ausnahmsweise bei erheblichen Störungen des öffentlichen Verkehrs“. In 
solchen Fällen sind zu Aufforderungen von Hilfeleistungen in erster Linie die Abteilung für 
Bauwesen des Finanzministeriums und die Provinzialdirektionen, bei dringender Gefahr 
aber auch alle übrigen staatlichen Behörden, namentlich die Kreisämter und Wasserbauämter, 
sowie die Eisenbahnbehörden zuständig; Gemeindebehörden und Privatpersonen haben sich 
an das zuständige Kreisamt zu wenden. Alles weitere ist teils in der Vereinbarung geregelt, 
teils der Bestimmung des Generalkommandos überlassen. Die Pflicht zur Kostentragung 
ist durch die Vereinbarung auf der Grundlage geordnet, daß nur der tatsächliche Aufwand 
bzw. Schaden des Truppenteils zu ersetzen ist; die Verwaltungsbehörden brauchen sich daher 
beim Ansuchen um Nothilfe nicht noch im besonderen zur Kostentragung zu verpflichten. 
10. Eine durchgreifende Veränderung der geschilderten polizeilichen Zuständigkeiten ergibt 
sich aus der ausschließlich dem Kaiser zustehenden Erklärung des Kriegszustandes. Diese 
bewirkt nach den zufolge RV. Art. 68 auch für Hessen maßgebenden Vorschriften des preußi- 
schen Gesetzes vom 4. Juni 1851 den Ubergang der vollziehenden Gewalt an die Militärbefehls- 
haber sowie die vorübergehende Aufhebung der verfassungsmäßigen Garantien gegen ungerecht- 
fertigte Verhaftung, Haussuchungen, Beschlagnahme von Papieren, Ausnahmegerichte usw. 1). 
#86. Polizeiverfügung und Polizeizwang. I. Unter Polizeiverfügungen 
sind diejenigen Anordnungen der Polizeibehörden oder ihrer Unterorgane zu verstehen, durch 
welche diese in Erfüllung ihrer polizeilichen Aufgaben zur Durchführung einer bestehenden 
Rechtsvorschrift einer einzelnen Person oder mehreren individuell bestimmbaren Personen 
ein bestimmtes Verhalten vorschreiben oder verbieten 2). Die Polizeiverfügungen stellen nie- 
mals neue Rechtssätze auf, sondern sie dienen nur der Anwendung der geltenden Rechtssätze 
und erschöpfen daher ihre rechtliche Wirkung in der Ordnung der ihren Gegenstand bildenden 
individuellen Fälle. Welchen Inhalt die polizeilichen Verfügungen haben können, ist durch 
die Gesetze nicht bis ins einzelne geregelt, ergibt sich aber aus dem Wesen und den Aufgaben 
der Polizei. 
Die hessische Gesetzgebung (K P. Art. 66; St O. Art. 129 b; LGO. 128 a) hat die Grenzen 
des polizeilichen Verfügungsrechts in folgender Weise gezogen 5): 
1. Der Kreisrat (bzw. in den Stadtgemeinden der Lokalpolizeibeamte) 
ist befugt, innerhalb seiner Zuständigkeit im öffentlichen Interesse: 
a) gefahrbringende oder rechts- oder ordnungswidrige Zustände zu beseitigen und deren 
Entstehung oder Fortsetzung zu hindern; 
b) die Erfüllung solcher Verbindlichkeiten des öffentlichen Rechts, für deren zwangs- 
weisen Vollzug ein besonderes Verfahren nicht vorgeschrieben ist, zu erzwingen. 
2. Zur Durchführung dieser Befugnisse stehen den genannten Polizeibehörden folgende 
Mittel zu Gebote: 
a) der Erlaß einfacher Gebote oder Verbote ohne Zwangs= oder Strafandrohung; 
b) die Verbindung des polizeilichen Gebots oder Verbots mit UAndrohungeiner 
Geldstrafe bis zu 90 Mk., und zwar, soweit möglich, durch schriftliche Verfügung oder 
durch Eröffnung zu Protokoll. Dieses Mittel ist nur dann zulässig, wenn eine Unter- 
lassung erzwungen werden soll oder wenn die zu erzwingende Handlung nicht durch 
dritte ausgeführt werden kann (KPO. Art. 66 III St O. Art. 129 b II Z. 3); 
e) die sog. Ersatzvornahme. Diese besteht darin, daß die Polizeibehörde eine von 
ihr befohlene Handlung auf Kosten des Pflichtigen durch dritte ausführen läßt; sie ist in ihrer 
– 
1) Bgl. im einzelnen namentlich Dambitsch, Die VBerfassung des Deutschen Reichs, 
mit Erläuterungen, Berlin 1910, S. 615—620. 
2) Vgl. auch Definition und Literaturangaben bei Meyer-Dochow S. 85. 
3) zuglic des Polizeiverfügungsrechts des Landesherrn, der Zentralbehörden und der 
Provinzialdirektoren s. oben §# 85
	        
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