g 86 Polizeiverfügung und Polizeizwang. 221
30. Juni 1821 (RBl. S. 354). Diese bestimmt in ihrem Art. 12: „So lange die Staatsregierung
für die Verwaltung der Polizei in den einzelnen Orten keine besondere Bestimmung trifft,
so übt der Bürgermeister zugleich als landesherrlicher Diener die vollziehende Gewalt in polizei-
licher Hinsicht nach den Gesetzen und der ihm erteilten Dienstinstruktion und nach den Be-
fehlen der vorgesetzten Regierungsbehörden, sorgt für die Aufrechterhaltung der bestehenden
Ordnung und hat das Recht, in Fällen, die eine schleunige Vorkehrung erfordern, Anordnungen
zu treffen, welche jeder vorderhand zu befolgen schuldig ist, die aber sogleich, insofern sie
in den bestehenden Gesetzen nicht vorgesehen waren, der vorgesetzten Behörde anzuzeigen sind“.
Die polizeilichen Befugnisse des Landbürgermeisters sind nach dieser Zuständigkeitsbestimmung
scheinbar sehr weitgehend; sie finden jedoch ihre Grenze in dem Grundsatze des Art. 23 H.,
wonach Eingriffe in das Eigentum und die Freiheit stets einer gesetzlichen oder gewohnheits-
rechtlichen Ermächtigung bedürsen. Da den Landbürgermeistern rechtliche Ermächtigungen
der unter Ziff. 1 und 2 genannten Art, wie sie den Kreisräten und den Lokalpolizeibeamten
in den Stadtgemeinden durch die KPO. und die St O. erteilt wurden, fehlen, so beschränkt
sich die eigene polizeiliche Zuständigkeit der Landbürgermeister auf den Erlaß von einfachen
Polizeiverfügungen, d. h. von Geboten und Verboten ohne Strafandrohung. Die Anwendung
von Polizeizwang ist den Landbürgermeistern nur insoweit gestattet, als sie sich hierbei un-
mittelbar auf Gesetz (Reichs= oder Landesrecht), auf Gewohnheitsrecht oder auf dienstlichen
Auftrag (Delegation) von seiten einer übergeordneten, mit Zwangsbefugnissen versehenen Be-
hörde stützen können. Die Zuständigkeit der Kreisräte zur Erteilung derartiger Aufträge ergibt
sich aus deren „Ausfsichtsrecht“ über die ortspolizeiliche Tätigkeit der Gemeindebehörden und
aus ihrer allgemeinen dienstlichen Uberordnung über die Organe der Ortspolizei.
5. Die polizeilichen Befugnisse der Uunteren Polizeiorgane entbehren bisher
überhaupt der gesetzlichen Regelung. Da sie selbstverständlich nicht weiter gehen können als
die Befugnisse ihrer vorgesetzten Behörden, so ergibt sich daraus ohne weiteres, daß Polizei-
verfügungen und polizeiliche Zwangsmaßregeln der unteren Polizeiorgane nur insoweit zu-
lässig sind, als sich diese Maßnahmen entweder unmittelbar auf Gesetz oder Gewohnheitsrecht
oder auf einen gesetzmäßigen Befehl der übergeordneten Behörde stützen. Die Erteilung
solcher Befehle erfolgt teils generell durch allgemeine Dienstanweisung (Instruktion, An-
leitung, Reglement 1), teils speziell für einen bestimmten Einzelfall und ist im allgemeinen
an keine bestimmte Form gebunden. — Dabei ist zu beachten, daß die unteren Organe der Polizei
vielfach gleichzeitig als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft fungieren; soweit sie in dieser Eigen-
schaft tätig werden, bestimmt sich ihre Zuständigkeit und ihr Verhalten nach den hierfür gelten-
den besonderen Grundsätzen; das gleiche gilt, wenn Polizeiorgane zugleich die Funktionen
eines Ortsgerichtsdieners oder sonstige Stellen zu versehen haben.
II. Während die Polizeiverfügung ihrem Wesen nach in einer Einwirkung auf den Willen
der von ihr betroffenen Person besteht und nur durch deren Vermittlung den von der Polizei
gewünschten Zustand herbeiführen will, dient der Polizeizwang dazu, diesen Zustand unter
gewaltsamer Ausschaltung entgegenstehender Widerstände durch die Willenshandlungen der
Polizei unmittelbar zu verwirklichen. Soweit der von dem Polizeizwang betroffene bei der
Verwirklichung des polizeilichen Willens selbst überhaupt mitwirkt, ist er nur Werkzeug der Polizei,
So leicht Polizeiverfügung und Polizeizwang sich begrifflich auseinanderhalten lassen,
so eng sind sie in Wirklichkeit verbunden. In der Regel droht hinter der Polizeiverfügung
der Polizeizwang. Wenn es demgemäß notwendig war, im vorstehenden die allgemeinen
polizeilichen Zwangsbefugnisse in ihrem natürlichen Zusammenhang mit dem Peolizei-
verfügungsrecht zu behandeln, so gibt es doch noch einige besondere Arten des
Polizeizwang,s, die einer speziellen Erörterung bedürfen. Es sind dies namentlich:
1. diejenigen polizeilichen Zwangsmaßnahmen, welche eine
richterliche Verurteilung voraussetzen. In dieser Hinsicht lassen sich
1) Bgl. z. B. die durch Bek. d. Min. d. Innern vom 14. XII. 1903 publizierte, landes-
herrlich genehmigte Dienstordnung für das Großh. Gendarmeriekorps (RBl. 1904 S. 1).