222 Die Polizeiverwaltung. g 86
a) solche, die vom Strafrichter erkannt und von den Verwaltungsbehörden nur
vollzogen werden, z. B. die Zwangserziehung nach § 56 StG.;
b) solche, welche ohne einen ausdrücklich hierauf abzielenden Ausspruch des Richters
ohne weiteres auf Grund der Verurteilung wegen bestimmter straf-
barer Handlungen von den Polizeibehörden angewandt werden können, z. B. die
Anhaltung der nach Vorschrift des § 361 Nr. 3—8 verurteilten Personen zu bestimmten, ihren
Fähigkeiten und Verhältnissen angemessenen Arbeiten gemäß § 362 Abs. 1 St GB. und die
Landesverweisung von Personen, welche innerhalb der letzten zwölf Monate wegen wieder-
holten Bettelns oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden sind, gemäß #§# 3
Abs. II des Freizügigkeitsgesetzes 1);
Tc) solche, welche vom Strafrichter ausdrücklich als zulässig erklärt und auf
Grund dieses besonderen richterlichen Ausspruchs von den Verwaltungsbehörden angewandt
werden können, so z. B. die Stellung unter Polizeiaufsicht auf höchstens
5 Jahre gemäß §§ 38, 39 StGB. Die Anordnung dieser Maßnahme steht dem Kreisrate zu?½)
und hat folgende Wirkungen: a) dem Verurteilten kann vom Kreisamt der Aufenthalt an ein-
zelnen bestimmten Orten untersagt werden; 9) das Kreisamt ist besugt, den Ausländer aus
dem Bundesgebiete zu verweisen; y) Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hin-
sichtlich der Zeit, zu welcher sie stattfinden dürfen;
d) solche, die auf Grund der richterlichen Uberweisung an die Landes-
polizeibehörde in den Fällen der §5 181 a, 361 Nr. 3—8, 362 gegen verurteilte Per-
sonen nach verbüßter Strase von dem zuständigen Kreisamt angewandt werden können.
Dies sind folgende, bis auf die Dauer von zwei Jahren zulässige Maßnahmen: c) Unter-
bringung in einem Arbeitshaus 3) bzw. im Falle des § 361 Nr. 6 — in einer Besserungs-
oder Erziehungsanstalt oder in einem Asyl; 5) an Stelle von a) Verwendung zu gemein-
nützigen Arbeiten, endlich y) gegenüber Ausländern neben oder an Stelle der Unterbringung
Verweisung aus dem Bundesgebiet /). .
2. Die Verhängung von polizeilichen Aufenthaltsbeschränkungen
ohne vorhergehende Verurteilung. Hierbei ist zu unterscheiden, ob es sich
um Ausländer, um nichthessische Reichsangehörige oder um Hessen handelt:
a) Ausländer, d. h. Personen, die sich nicht im Besitze der deutschen Reichs-
angehörigkeit befinden, haben, soweit nicht durch Staatsverträge entgegenstehende Ver-
einbarungen getroffen sind, keinen rechtlichen Anspruch auf Gestattung des Aufenthalts inner-
halb des Reichsgebiets oder innerhalb des einzelstaatlichen Gebiets. Demnach ist jeder Einzel-
staat befugt, Ausländer, deren Aufenthalt er aus irgendeinem Grunde als lästig empfindet,
aus seinem Gebiete und — soweit reichsrechtliche Vorschriften dies ausdrücklich gestatten (z. B.
3 362 Abs. 4 StGB.) — zugleich aus dem Reichsgebiete auszuweisen 5).
b) Nichthessische Reichsangehörige können, abgesehen von dem oben
1) Die Landesverweisung ist selbstverständlich gegenüber solchen Personen unzulässig, welche
in Hessen die Staatsangehörigkeit oder einen Unterstützungswohnsitz besitzen. Außerdem erll
die hessische Regierung auf Grund einer zwischen den Bundesregierungen (mit Ausnahme von
Bayern, Württemberg und Baden) getroffenen Vereinbarung die Ausweisung solcher Reichs-
angehöriger — es seien denn Bayern, Württemberger oder Badener — für unstatthaft, deren
Verurteilung in Hessen erfolgt ist (s. MA. Nr. 9 v. 25. X. 1894, abgedruckt bei Küchler
[Braun u. Weber! III S. 33). Ein juristischer Grund läßt sich für diese Vereinbarung wohl
kaum anführen (vgl. auch die zutreffende Bemerkung a. a. O. Note 2). — Zur Landesverweisung
sind nur die Kreisämter befugt (s. Küchler [Braun u. Weber!] II S. 30).
2) Siehe Küchler (Braun u. Weber) III S. 32. ,
3) Falls die betreffende Person zur Zeit der Verurteilung das 18. Lebensjahr noch nicht
vollendet hat, ist die Unterbringung in einem Arbeitshaus unzulässig (StGB. 362 Abs. 3).
4) Bezüglich des Vollzugs der sog. Nachhaft s. MA. Nr. 17 v. 30. XII. 1889, abgedr.
bei Küchler (Braun u. Weber) III S. 28 ff. Bemerkenswert ist die instruktionelle Vor-
schrift, daß die Verurteilten bis zur Überführung in ein Arbeitshaus in polizeiliche pat zu nehmen
sind. Vgl. zu letzterem Punkt und zu den einschlägigen Fragen überhaupt Frank, Kommentar
z. Reichsstrafgesetzbuch, Anmerkung zu § 362; siehe auch die dortigen Literaturnachweise.
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5) Bezüglich des Vollzugs s. Küchler (Braun u. Weber) II S. 29 u. S.