Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

224 Armen- und Gesundheitswesen. g 88 
  
  
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auf den Erlaß von Ausführungsbestimmungen beschränkt 1). Diese sind für Hessen enthalten 
in einer Vollzugsverordnung vom 9. Mai 1908 (RBl. S. 105) und in einer Vollzugsbekannt- 
machung vom gleichen Tage (RBl. S. 106), ferner — was die Anfechtung der Auflösung 
eines Vereins oder einer Versammlung anlangt — in dem Verwaltungsrechtspflegegesetz 
vom 8. Juli 1911, Art. 131 Nr. 42 2). 
Die Vollzugsvorschriften beziehen sich auf die Zuständigkeit der Behörden (ss# 1, 2), auf 
die Ausstellung der vorgeschriebenen Bescheinigungen über Gründung von Vereinen und 
Anzeige von Versammlungen (§§ 3, 4), auf den Ersatz der letzteren Anzeige durch öffentliche 
Bekanntmachung (5 5), auf die Genehmigungspflicht bzw. Genehmigungsfreiheit bestimmter 
Arten von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen (§§ 6, 7, 8) und auf den Gebrauch nicht- 
deutscher Sprachen (§ 9). Besonders bemerkenswert ist folgendes: 
Zur Auflösung eines Vereins ist das Kreisamt des Vereinssitzes zuständig. „Höhere 
Verwaltungsbehörde“ im Sinne des § 3 IV. RVG. ist das Kreisamt, „Polizeibehörde“ im 
Sinne der §99 3 II und V RVG. in Stadtgemeinden die Bürgermeisterei bzw. die besondere 
staatliche Lokalpolizeibehörde, sonst das Kreisamt. Wenn die öffentliche Bekanntmachung 
einer öffentlichen politischen Versammlung nach § 6 IRV. die Anzeige ersetzen soll, so muß 
sie entweder durch eine in dem Kreise, dem der Versammlungsort angehört, erscheinende 
Zeitung oder durch öffentliche in die Augen fallende Anschläge in der Gemeinde des Ver- 
sammlungsortes erfolgen. Sie muß den Ort (Gemeinde und Raum), die Zeit und den Namen 
des Veranstalters der Versammlung angeben. Die Ausgabe der Zeitung oder das Anschlagen 
muß spätestens 24 Stunden vor Beginn der Versammlung erfolgt sein. — Auf öffentlichen 
Straßen oder Plätzen stattfindende öffentliche Versammlungen und Aufzüge bedürfen der 
Genehmigung des Kreisamts. Offentliche Versammlungen unter freiem Himmel, die nicht 
auf öffentlichen Straßen oder Plätzen stattfinden, bedürfen einer Genehmigung nicht, wenn 
sie nach § 5 RVG. angezeigt worden sind. Weder einer Genehmigung noch einer Anzeige 
bedürfen Aufzüge und Aufmärsche der Feuerwehr, Sanitätskolonnen, Kriegervereine, Innungen, 
Schulen, ferner Aufzüge zu geselligen oder sportlichen Zwecken. Soweit genehmigungs- 
pflichtige Aufzüge durch mehrere Ortschaften führen sollen, brauchen sie nur von der für den 
Ausgangspunkt zuständigen Polizeibehörde genehmigt zu werden. — In den in § 6 III RV. 
bezeichneten Versammlungen ist der Gebrauch nichtdeutscher Sprachen zulässig. In anderen 
öffentlichen Versammlungen, die in deutscher Sprache geführt werden, ist einzelnen Rednern 
der Gebrauch nichtdeutscher Sprachen gestattet. 
Viertes Kapitel. 
Armen- und Gelundheitswesen. 
§ 88. Armenwesen. Die Regelung des Armenwesens beruht in der Hauptsache auf 
dem nunmehr durch RE. vom 30. Mai 1908 ersetzten Reichs-(Bundes-) Gesetz über den 
Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870/12. März 1894. Die Landesgesetzgebung (Aus- 
führungsgesetz zum vorbez. Gesetz vom 14. Juli 1871 2) u. Ges., die Kosten der Landesarmen- 
pflege vom 24. Mai 1893 /„RBl. 1871 S. 265; 1893 S. 49) bezieht sich gemäß UW#G. § S edig- 
lich auf folgende Punkte: 
1) Bezüglich des früheren Rechtszustandes, der den Polizeibehörden — nicht, wie 
häufig behauptet wurde, „den Untertanen“ — infolge des Fehlens präziser Vorschriften weit- 
gehende Handlungsfreiheit gewährt hatte, vgl. namentlich Cosack S. 103 u. Bölsing, 
Das Vereins= und Versammlungesrecht i. Gr. H., Gießener Diss. 1902. — In der Literatur des 
Reichsvereinsgesetzes finden sich besondere Hinweise auf die Praxis und die landesrechtlichen 
Vorschriften Hessens bei Krausgrill, Die rechtliche Stellung der Polizei in öffentlichen 
politischen Versammlungen, Gießener Diss. 1911. 
2) Die Bestimmungen des Gesetzes, die Verantwortlichkeit der Gemeinden für Verleungen. 
und Beschädigungen infolge von Zusammenrottungen betreffend, vom 3. III. 1859/30 
1899, sind nicht vereinsrechtlicher Natur und daher in diesem Zusammenhang nicht zu behandeln. 
3) Val. hierzu LB. II 1869/72 Beil. B. 7 Beil. 478 (Gesetzesentwurf), 479 (Motive), 
486 (Ausschußbericht). 
 
	        
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